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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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sehen. Denn ich will nicht nur des Wissens wegen etwas Neues erfahren. Ich will darauf zugehen, will reagieren, vielleicht Augen und Ohren aufsperren, um dann auch das Neue zu verstehen, es einzuordnen. Ja, es dann in meinen Erfahrungsschatz zu packen – oder aber, gleich auf das Neue so eingehen, dass ich noch mehr erfahre. Das Neue wirkt wie ein Köder, der mich für eine Sache begeistert. Mich motiviert. Mich loslaufen lässt.
    Und tatsächlich blieb mir nichts anderes übrig, als loszulaufen, als ich einen winzigen, vielleicht magere fünf Zeilen umfassenden, in einer Ecke des Lokalteils der New York Times versteckten Artikel gelesen hatte.
    Er elektrisierte mich.
    Ich war gerade vor wenigen Monaten in Manhattan angekommen, da stand nun in der Zeitung, Tennessee Williams arbeite aktiv mit an der Inszenierung seines neuestes Stückes.
    Tennessee Williams? Wir schreiben das Jahr 1981! Der ist doch längst tot, sagte ich mir. Dessen Zeit liegt doch dreißig Jahre zurück. »Streetcar named Desire«, verfilmt mit dem ganz jungen Marlon Brando und Vivien Leigh, das war 1951. »Cat on the Hot Tin Roof«? 1958 mit dem ganz jungen Paul Newman und der bildhübschen Elisabeth Taylor. Und 1961, hatte da nicht der ganz junge Warren Beatty (wenn ich an den Namen denke, wird mir gleich wieder heiß, und ich denke an meinen Fauxpas als Angestellter im Hotel Delmonicos, siehe nächstes Kapitel) in »The Roman Spring of Mrs Stone« mitgespielt.
    Tennessee Williams muss doch seit mindestens zehn Jahren tot sein!
    Wie peinlich war meine Unwissenheit! Meine Güte, sagte ich mir, jetzt hast du eine Chance, diesen von dir bewunderten Weltliteraten zu treffen. Du drehst einfach einen Bericht über sein neues Stück. Wo wird das wohl aufgeführt? Am Broadway! Sicherlich. Nein, kein Broadway-Theater hat den neuen Tennessee Williams in der Vorschau. Sicher macht es ein besonderes Off-Broadway-Theater, das auf neue Stücke spezialisiert ist. Weit gefehlt. Endlich finde ich es heraus: Off-Off-Broadway, am »Bouwerie Lane Theater« war dessen Chefin Eve Adamson dabei, das neue Stück von Tennessee Williams auf die Bühne zu bringen.
    Niemand beantwortete das Telefon des Theaters. Niemand. Nie. Also nahm ich mir ein Taxi. Die Ecke östlich vom Washington Square war damals ziemlich verkommen. Heute ist das Gebäude, in dem das Theater einst residierte, von Immobilienhaien aufgemotzt worden, allein das Penthouse kostet mehr als zehn Millionen Dollar.
    Ich kam zum Theater. Ein altes, schweres Schild mit dem Namenszug hing über der Straße. Eine verrostete Treppe führte zum Eingang. Der war geschlossen. Es gab keine Klingel. Ich fand keinen Hintereingang. Kein Fenster war offen. Das Gebäude wirkte wie ausgestorben. Schräg gegenüber lag Phebe’s, eine alte Spelunke, die Fenster neben dem Eingang waren mit hellen Backsteinen zugemauert. Ich hatte Hunger. Dort gab es Hamburger. Ich betrat das düstere Lokal, das innen sehr gemütlich wirkte mit seiner langen Holztheke. Es war leer. Eine Kellnerin kam freudig auf mich zu, »hi, how are you today?«. Ich setzte mich. Sie hatte viel Zeit zum Plaudern. Ich bestellte. Und als sie den Hamburger brachte, fragte ich sie nach dem Theater. Wie man da denn jemals jemanden treffen könnte?
    Oh my god! Sie schlug die Hand vor den Mund. Wissen Sie was, Eve kommt immer mittags zum Essen. Heute war sie noch nicht da. Aber gestern, sprudelte es aus dem aufgeregten Mädchen, das den Satz gar nicht zu Ende reden konnte, so viel wollte sie mir auf einmal erzählen. Ich müsse nämlich wissen, sie, Regina, sei Schauspielerin. Eigentlich. Aber da sie kein Engagement habe, verdiene sie hier als Kellnerin ihr Geld. Es sei eigentlich ihre erste Woche. Und, stellen Sie sich das vor. Gestern kommt Eve mit Tennessee Williams hier rein und stellt mich ihm als Schauspielerin vor. Er trug eine dicke schwarz eingefasste Brille und sagte sein langgezogenes »Helloooo’«, wie man halt in Tennessee spricht.
    »Ich habe mich richtig in ihn verliebt«, sagte Regina.
    Dann wurde sie rot. Ob er mit so einem jungen Ding wie mir was anfangen kann? Ich überlegte kurz, gab mir einen Ruck und sagte dann, dass er doch schwul sei. Sie wurde noch röter. Sie hätten eine Karaffe Weißwein bestellt und laut gelacht. Sehr laut hat Tennessee Williams gelacht. Und dann hätten sie an dem Stück gearbeitet, das bald Premiere habe. Die Proben begännen meist um vier, dann sei auch die Eingangstür offen.
    Als ich in den dunklen Theaterraum

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