Neugier und Übermut (German Edition)
Verhängnis werden.
Er las.
Einziger Zuhörer in der fahlen Neonbeleuchtung: Ich.
Am 7. Oktober 1981 hatte das Strafgericht von New York Anklage wegen Mordes gegen Jack Henry Abbott erhoben. Wieder überschlug sich die Berichterstattung der Medien über den tragischen Fall. Tragisch wegen des Todes des erstochenen jungen Mannes, tragisch weil die intellektuelle Gemeinde von New York große Hoffnungen in den siebenunddreißigjährigen Autor gesetzt hatte. Norman Mailer und seine Frau Norris Church waren zum Prozessauftakt erschienen, um Abbott Beistand zu leisten, wie auch der Schriftsteller Jerzy Kosiñski, Autor von »Being There« – großartig verfilmt mit Peter Sellers. Dessen letzter Film.
Jerzy Kosiñski lernte ich später während eines Abendessens, bei dem Time -Korrespondenten Friedel Ungeheuer und seiner Frau Barbara, Autorin der ZEIT , kennen. Kosiñski faszinierte mich gleich bei diesem ersten Treffen mit der Schilderung seines Tagesablaufes: Er schlief in Etappen. Zweimal am Tag stieg er ins Bett für je vier Stunden. Er zog seinen Schlafanzug an und die Vorhänge zu. Das entspreche sehr viel mehr der Natur eines Lebewesens, erklärte er, als eine einzige längere Schlafphase. Andere Tiere, schließlich sei ja der Mensch auch nur ein Tier, legten sich ja auch mehrmals im Verlauf eines Tages hin.
Nun stand also Jack Henry Abbott vor dem Schwurgericht.
Zu den Schriftstellern, die seinetwegen gekommen waren, gesellten sich auch die Schauspielerin Susan Sarandon und der Filmstar Christopher Walken. Sarandon schien von Abbott wie verzaubert. Kurz nach dem Prozess hat sie einen Sohn geboren. Sie und der Vater des Kindes, Tim Robbins, nannten ihn Jack Henry.
Jack Henry Abbott war wegen seines Buches, wegen seiner Briefe aus dem Gefängnis eine Berühmtheit geworden, ein gesellschaftliches Kuriosum, ein Streitobjekt beider politischer Lager. Mailer flehte die New Yorker Presse an: »Lasst uns Abbott nicht vernichten.«
Was erregte die geistige Elite so sehr?, fragte ich mich. Vielleicht das Paradoxe in diesem Menschen. Sie sah in ihm einen literarischen Star und einen marxistischen Revolutionär, einen verurteilten Mörder und einen Autor von höchstem Rang. Dabei ging es gar nicht um ein Paradoxon. In die Person Abbott wurden schlicht viele eigene Traumbilder projiziert.
Waren die Zeiten damals anders als heute? Ein bunter Transsexueller schafft es jetzt eher in die Gazetten oder Talk-Shows, als ein Autor, der sich quält. Die Öffentlichkeit möchte inzwischen banaler unterhalten werden. Der nackte Busen eines strohdummen, hübschen Mädchens verführt mehr, als jeder gewitzte oder quälende Gedanke.
Kurz bevor Abbott den Mord am 18.Juli 1981 beging, war ich in Manhattan angekommen, suchte verzweifelt nach einer einigermaßen erschwinglichen Wohnung, und richtete das Studio der ARD in einem alten Bürogebäude Ecke Broadway und 57th Street ein.
Es war mein Lebenstraum gewesen, Korrespondent in New York zu werden. Nach einem Studienjahr an der Wesleyan University in Connecticut, eine gute Autostunde vom Big Apple entfernt, hatte ich im Juli 1962 im Hotel Delmonico an der Park Avenue, Ecke 59th Street, einige Wochen gearbeitet. Dieses Hotel war damals eines der schicksten der Stadt mit der teuersten Suite in der ganzen Stadt. Die Kennedys hatten hier gewohnt, bevor JFK Präsident geworden war. Stars aus Hollywood über- nachteten hier, und Fernsehgrößen wie Ed Sullivan oder die berühmteste aller amerikanischen Gesellschaftsklatschtanten, die voluminöse Elsa Maxwell, behielten ihre Suite jahrein, jahraus.
Der General Manager mit dem jugoslawischen Nachnamen, der mich angestellt hatte, warb für das Delmonico im New Yorker unter dem Motto: »We employ only European Staff« – das traf auf mich zu. Ich war »European«, wie ich ihm in meiner Bewerbung um einen Job schrieb, und ich beherrschte nebenbei auch Deutsch und Französisch. Sprach also »European«. Er stellte mich sofort an. Und er hielt es für richtig, einen dreisprachigen »European« gleich am Empfang einzusetzen.
Ein grandioser Managementfehler!
Denn Sprachkenntnisse allein nutzen nichts am Empfang eines vornehmen Hotels mitten in Manhattan. Das lernte ich schnell.
Ein junger Mann kam auf mich zu und fragte: »Habe ich Post?«
»Wie ist Ihr Name?«, fragte ich und hängte ein freundlichdevotes »Sir?« an.
Er blickte mit Schmäh auf mich armseliges Würstchen, drehte sich um und eilte wütend davon.
Warren Beatty. »Das war
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