Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
Vom Netzwerk:
doch Warren Beatty«, half mir ein älterer Kollege auf die Sprünge, »der jüngere Bruder von Shirley McLaine!« Schwester Shirley war damals viel berühmter.
    Warren Beatty wohnte seit dem Film »Splendor in the Grass« im Delmonicos, hatte eine längere Affäre mit Joan Collins, die wild vor sich hin lebte, eine kürzere zu Natalie Wood, die fürchterlich depressiv und sehr auf sich bezogen war, und nebenbei las er eines Nachts ein sechzehnjähriges, unbekanntes Mädchen auf, später als Cher weltberühmt, die ihm nur deswegen in sein Hotelzimmer folgte, weil ihre Mutter und Freundinnen von ihm so begeistert waren. »Nicht dass er technisch nicht gut war oder gut sein konnte«, sagte Cher kurz danach, »aber ich habe über- haupt nichts gefühlt. So gab es für mich auch keinen Grund, es noch mal zu tun.«
    Ich musste Warren Beatty eine Flasche seines bevorzugten Whiskeys aufs Zimmer bringen und wurde innerhalb weniger Minuten in die Hinterräume versetzt. An mein Missgeschick denke ich heute noch häufig, wenn ich in ein renommiertes deutsches Hotel komme, wo am Empfang, der geringen Kosten wegen, Praktikanten völlig hilflos Dienst tun. Welch grober Fehler! Die erste Person, die den Gast begrüßt, benimmt sich dilettantisch. Nichts ist schöner, als im Frankfurter Hof von Jürgen Carl, dem Chefportier, begrüßt zu werden. Er gibt dem Gast das Gefühl, nach Hause zu kommen, und hat stets die Titel der neuesten Bücher seiner Besucher im Kopf!
    Im Juni 1981 war also mein Traum wahr geworden und ich als ARD-Korrespondent in New York angekommen. Aufgeregt folgte ich allem, was von hier aus in die Gazetten der Welt getragen würde.
    Im Mittelpunkt des literarischen Lebens standen nicht nur in Manhattan Autoren wie Norman Mailer.
    Norman Mailer galt schon allein deshalb als der aufregendste Autor, weil er wütend werden konnte und im Zorn vor nichts haltmachte. Das hatte er auch im Privatleben gezeigt, als er 1960 seine zweite von schließlich sechs Frauen mit dem Taschenmesser schwer verletzte. Oder als er 1977 während eines Diners dem von ihm tiefverachteten Autor Gore Vidal ein Glas Whiskey ins Gesicht kippte, ihm auf den Kopf schlug und einen Fausthieb in die Zähne verpasste.
    Im Jahr bevor ich in New York gelandet war, hatte Mailer für sein Buch »The Executioner’s Song« – Gnadenlos –, einen Tatsachenroman über den Mörder Gary Gilmore und dessen Erschießung, zum zweiten Mal den Pulitzer-Preis erhalten. Gary Gilmores Geschichte ähnelte der von Jack Abbott.
    Gilmore war als Kind schon in die Fänge der Justiz geraten, er wurde zum Einbrecher, Gewaltverbrecher, Mörder. Jetzt saß er in der Todeszelle im Utah State Prison und wartete auf die Vollstreckung der Todesstrafe. Gary Gilmore hatte vor Gericht die Morde zugegeben und seinen Verteidigern verboten, gegen die Hinrichtung Einspruch einzulegen oder gar ein Gnadengesuch einzureichen. In Utah konnte der Verurteilte unter zwei Todesarten wählen: auf den elektrischen Stuhl oder Erschießen. Gilmore wählte das Erschießungskommando.
    Mailer faszinierte der Fall Gilmore, denn einige Jahre zuvor – 1972 – hatte der U.S. Supreme Court, das höchste Gericht, geurteilt, die Todesstrafe, so wie sie damals bestand, verstoße gegen die Verfassung. Seitdem war in den USA niemand mehr hingerichtet worden. Gilmore würde der Erste sein.
    Während Norman Mailer mitten in der Arbeit von »The Executioner’s Song« steckte, erhielt er einen Brief von Jack Henry Abbott. Abbott hatte in dem Magazin Time von Mailers Projekt gelesen. Er saß im selben Gefängnis wie Gary Gilmore. Deshalb schrieb er Mailer, Gilmore, der mit seinem Leben abgeschlossen habe, schildere die Gewalt in den Gefängnissen sicher viel zu mild. Es gebe nur wenige Menschen wie ihn, Jack Henry Abbott, die alle Arten der Gewalt erlebt hätten und Norman Mailer die Wirklichkeit in all ihrer Härte näherbringen könnten. Abbott war damals 33 Jahre alt und hatte fast sein ganzes Erwachsenenleben in Gefängniszellen verbracht. Fünfeinhalb Jahre sogar in Isolierzellen.
    Mailer antwortete. »Abbotts Brief war eindringlich, geradeaus, schmucklos und unvoreingenommen, eine unvergessliche Kombination«, schrieb er später in seinem Vorwort zu Abbotts Buch. Abbott schickte drei Jahre lang zwei Briefe pro Woche. Bald hatte er 2000 Seiten über jeden Aspekt des Gefängnislebens zu Papier gebracht.
    Er schildert die Dunkelhaft, ebenso wie die zwangsweise Hungerkur, Drogenbehandlung, Folter.
    Als ich die

Weitere Kostenlose Bücher