Neugier und Übermut (German Edition)
Tage später lud der Vizepräsident des Transportunternehmens den unbeugsamen Gewerkschaftsboss zum Mittagessen ein. Erst gegen Ende des Mahls schob der Manager seinem Gegenüber einen Umschlag über den Tisch, versprach, da sei noch mehr zu holen, sobald Eason seinen Antrag auf Organisierung der Arbeiter zurückgezogen hätte.
Zwei Stunden später lagen der Umschlag mit Bargeld und die Tonbänder beim FBI, und die Gerechtigkeit nahm ihren Lauf.
Das sah so aus: Matthew Eason wurde vom FBI im Rahmen des »Zeugenschutzprogramms« versteckt, in grässlichen kleinen Hotels untergebracht, dummerweise auch einmal in derselben Herberge, in der ein Teamsters-Kongress stattfand. Die Angeklagten nahmen sich erst einmal die teuersten und besten Anwälte – doch es nutzte ihnen wenig. Sie alle landeten für Jahre hinter Gittern. Den Zeugen half das wiederum wenig. Die Buchhalterin des Transportunternehmens, offensichtlich bereit, vor Gericht über die Schmiergelder auszusagen, kam eines Nachts von einer Urlaubsreise zurück, lud mit ihrem Mann gerade die Koffer aus, als ein weißer Lincoln langsam die Straße herunterfuhr und im Fenster des Beifahrers ein automatisches Schnellfeuergewehr erschien. Fünfzehn Schüsse später waren Buchhalterin und Ehemann erledigt. Tot. Eine Stunde später informierte das FBI Eason von der Schießerei, sofort packte der die Koffer, tauchte aus dem »Zeugenschutzprogramm« weg und nahm seine Sicherheit in die eigenen Hände. Die Gewerkschaftsarbeit ließ er derweil nicht ruhen.
Offensichtlich wirkte ich vertrauenswürdig, schließlich hatte ja auch Sonny Grosso für mich gebürgt. Also machten wir uns auf in sein Gewerkschaftsbüro. Die Türen waren mit Panzerplatten und unzähligen Schlössern geschützt. Doch bevor sich Eason an seinen Schreibtisch setzen konnte, überprüften die Leibwächter sein Arbeitszimmer. Als er die Jacke seines Dreiteilers auszog, sah ich das Pistolenhalfter, unter dem Hemd trug er eine kugelsichere Weste.
»Wenn ich schon sterben sollte«, lachte Eason mit Galgenhumor und zeigte auf seinen Revolver, »dann will ich den Killer als Begleiter mitnehmen.«
Als sein Arzt zu Besuch kam, mussten wir das Gespräch kurz abbrechen. Einen Termin in einer Praxis wahrzunehmen, war Eason zu gefährlich. Seine Gesundheit war schon lange angeschlagen, nicht nur wegen der drei Zentner, die er wog – und die sein Herz mit Blut versorgen musste –, sondern auch wegen der psychischen Belastung. Im Herbst des vergangenen Jahres musste er sechs Wochen ins Krankenhaus. Unter falschem Namen. Mit zwei Leibwächtern.
»Ist der psychische Stress so enorm?«, fragte ich ihn.
»Zweifellos!«
»Sie können kein normales Leben führen?«
»Nein, es gibt viele Aktivitäten, an denen ich normalerweise teilnehmen würde – zum Beispiel Hochzeiten oder Beerdigungen von Menschen, die mir nahestanden. Mein Privatleben ist sehr eingeschränkt, weil ich glaube, dass ich eine bessere Überlebenschance habe, wenn ich mich zurückhalte.«
»Dann haben Sie auch keinen geregelten Tagesablauf, vermute ich.«
»Nur wenn es unbedingt erforderlich ist. Meine eigenen Sekretärinnen wissen nicht, wo ich bin. Nur wenige Treffen schreibe ich in meinen Terminkalender. Und ich habe Anweisung gegeben, über meinen Aufenthalt nie am Telefon zu reden, auch wenn die Sekretärinnen wissen, wo ich bin. Ich trage ein Signalgerät mit mir herum. Falls sie mich erreichen müssen, können sie mir ein Signal funken. Ich rufe dann zurück.«
Wenn irgend möglich nahm er den Bus oder die U-Bahn, wenn er in einen seiner geheimen Unterschlüpfe fuhr. Dann saß er den ganzen Abend vor dem Fernseher oder schaute mit dem Feldstecher auf die Straße. Er müsste doch wenigstens richtige Menschen sehen, sagte er, der über vierzig Jahre lang ein äußerst reges Privatleben gewöhnt war. Jetzt lebte er schon fünf Jahre auf der Flucht und gab trotzdem nicht auf. Seine Organisation überlebte, aber er erfuhr immer wieder, dass Gerechtigkeit bei vielen Arbeitern keine große Begeisterung hervorruft. Seine Streikwachen wurden häufig mit Messern oder Bleirohren angegriffen. Und dass sich seine Ehrlichkeit auf die Mitgliederzahl ausgewirkt hätte, konnte er leider auch nicht sagen. Ein paar mehr sind es schon geworden, aber eben nur ein paar mehr.
Am Abend erlebte ich dann eine Versammlung von Gewerkschaftsmitgliedern in seinem Büro.
45 Arbeiter sind gekommen. Die Konkurrenzgewerkschaft verspricht, höhere Löhne in einem
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