Neugier und Übermut (German Edition)
»bail bonds man«. Und dieser Bondsman kennt seine Pappenheimer, weshalb er sich Sicherheiten überschreiben lässt, einen Kfz-Brief, den Schuldschein eines Verwandten, eine Hypothek auf eine Immobilie. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass der Angeklagte untertaucht und zum Gerichtstermin nicht erscheint. Dann ist der Bondsman dran. Entweder die Kaution verfällt, oder aber er sorgt dafür, dass der Gesuchte bei Gericht antritt.
In der Regel sind die Richter geneigt, dem Bondsman entgegenzukommen. Sie geben ihm ein Jahr, um den Flüchtenden zurückzubringen. Dann beauftragt der einen »bounty-hunter«, einen Kopfgeldjäger, den Kerl aufzuspüren. Dead or alive – tot oder lebendig – stand früher auf den Steckbriefen, die an der Wand des Holzhauses vom Sheriff hingen. Auch das kennen wir zur Genüge aus Hollywood-Filmen, etwa wenn Clint Eastwood in »Für eine Handvoll Dollar« als Kopfgeldjäger Monco gleich eine ganze Karre voll toter Verbrecher abliefert.
Aber stimmt das immer noch in den inzwischen doch etwas zivilisierteren Zeiten?, fragte ich mich, als ich ARD-Fernsehkorrespondent war, in New York lebte und im Fernsehen den CBSFilm »Rivkin, bounty-hunter« sah. Die Geschichte spielte jetzt und auch noch in New York.
Verrückt, dachte ich, solche Räuberpistolen gibt’s im Wilden Westen bei den Cowboys. Aber dann siegte meine Neugier, und ich dachte mir, recherchieren kannst du doch wenigstens einmal. Und es dauerte nicht lange, da saß ich dem wahren Stan Rivkin und seinem Partner Marvin Badler gegenüber. CBS hatte sich für den Fernsehfilm einen wirklichen Kopfgeldjäger zum Vorbild genommen und dessen Namen noch nicht einmal geändert. Seitdem gilt Rivkin als »Papa«, als der Urvater der Stadtjäger. Für seine Rolle in »Midnight Run« ist auch Robert de Niro tagelang mit Rivkin durch Manhattan gezogen.
Versteckt in seinem Keller hatte Marvin Badler, der intelligentere der beiden Kopfgeldjäger, sein Büro eingerichtet.
Jeden Tag, bevor er sein Heim verlässt, putzt er sein Arbeitsgerät: den Colt. Und natürlich ist er mit allen technischen Feinheiten ausgestattet. Über Funk ruft er seinen Kompagnon Stan Rivkin, der sich aus dem Auto meldet: »Ich bin gerade in Green Point hinter dem Kerl aus Nicaragua her.«
»Den wir heute Nachmittag hochnehmen wollen?«, fragt Marvin.
»Ja, ein Informant hat mir zwei mögliche Adressen in der Huron Street in Brooklyn gegeben. Ich hol dich ab, dann können wir mal nachschauen«, sagt Stan und fügt hinzu: »Nimm deine beiden Gewehre mit, der Kerl hat einen geheimen Drogenfahnder mit der Machete angegriffen. Der weiß, dass er jetzt für lange Zeit bye-bye sagen muss. Da will ich auf alles vorbereitet sein.«
Doch Pech, am Nachmittag ist der Kerl schon über alle Berge.
Stan und Marvin wohnten in New York, doch ihr Arbeitsplatz war ganz Amerika. »Dürfen Sie denn jemanden einfach so aus einem anderen Bundesstaat über die Grenze holen?«, fragte ich.
»Der gesetzliche Rahmen eines ›scip-tracers‹, wie man uns auch nennt, ist viel großzügiger als bei der Polizei«, sagte Marvin Badler. »Wir dürfen, anders als die Polizei, jemanden über die Staatsgrenzen hinweg jagen und zurückbringen ohne dafür besondere Papiere zu haben. Für uns reicht es, wenn wir notariell bestätigte Kopien des Bailbonds vorweisen können, damit dürfen wir im ganzen Land und auch in Puerto Rico all das tun, was notwendig ist, um einen Flüchtigen zurück vor Gericht zu bringen.«
Grundlage für diese Freiheiten ist im Bundesstaat New York ein Gesetz und im Rest des Landes ein obskures Urteil des Supreme Court, des höchsten US-Gerichts, aus dem Jahr 1872, wo- nach der Kautions-Vertrag rechtlich eine private Vereinbarung zwischen Bondsman und Angeklagtem ist. Und um sein Recht als Bondsman durchzusetzen, darf er alle notwendigen Mittel nwenden, um den Flüchtigen zu fassen. Was alle notwendigen Mittel bedeutet, lässt das Gericht allerdings offen. Ein Kopfgeldjäger braucht keinen Hausdurchsuchungsbefehl, keine Auslieferungspapiere, was auch immer …
»Alle notwendigen Mittel?«, fragte ich und deutete auf Marvins Colt, »heißt das zur Not auch: erschießen. Dead or alive?«
»Korrekt. Dead or alive – tot oder lebendig. Nach altem amerikanischem Recht hat der Bondsman ein Anrecht auf den Körper des Flüchtigen. Letztes Jahr haben wir nach einem Kerl gesucht. Wir haben an dem Fall einige Monate gearbeitet, und Stan fand ihn schließlich in Florida. Er war tot.
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