Neugier und Übermut (German Edition)
größere Selbstverständlichkeit als etwa im bürokratischen Europa, wo man immer gleich um staatliche Hilfe jammert.
Von seinen Eltern habe er zwei Dinge gelernt: sich für das Gemeinwohl verpflichtet zu fühlen und zu arbeiten. Dass aber nicht alle, die es vorgeben, so denken, lernte Eason schon früh.
»Mein Vater war Hafenarbeiter«, sagte er. »Wenn er abends nach Hause kam, erzählte er manchmal, wie er den Gewerkschaftsbossen einen Teil seines Lohnes abgeben musste, nur damit er überhaupt Arbeit bekam. Geld, das nicht in die Gewerkschaftskasse, sondern in die eigene Tasche dieser Gangster floss. Manchmal brach er zusammen und weinte.«
Das sollte ihm nicht geschehen, schwor sich Matthew Eason, der wusste, dass ein aktiver Amerikaner in dem Fall nur einen Ausweg kennt: Er gründet seine eigene Gewerkschaftsorganisation – und ausnahmsweise eine gerechte. Das aber führte schnell zum Konflikt mit der Mafia; denn Matthew Eason begann, Arbeiter im New Yorker Garment-District zu organisieren, wo die großen Kämpfe ums Überleben stattfinden. Hier stellen Tausende von Unternehmen Kleider für die großen Warenhäuser Amerikas her. 250 000 miserabel bezahlte Arbeiter, zum großen Teil Einwanderer, die noch nicht richtig Englisch sprechen, streiten sich hier um Jobs. Kein Unternehmen hat einen größeren Marktanteil als ein Prozent. Mit halsabschneiderischen Methoden versucht hier jeder jeden zu übertrumpfen.
Auch im 21. Jahrhundert werden hier noch Klamotten im Wert von jährlich 14 Milliarden Dollar hergestellt, Modemacher wie Carolina Herrera, Oscar de la Renta, Calvin Klein, Donna Karan, Liz Claiborne und Nicole Miller laden ihre Kunden in ihre großen Showrooms ein.
Mafia und die Teamsters, die Transportmitarbeiter-Gewerkschaft, deren Chefs häufig im Gefängnis landeten oder – wie Jimmy Hoffa – nach dem Gefängnis mit Zementfüßen im tiefen Wasser versanken, beherrschen diesen Distrikt. Als nun Eason den Antrag stellte, eine Gruppe nichtorganisierter schwarzer und hispanischer Arbeiter eines großen Transportunternehmens in seine Gewerkschaft aufzunehmen, erhielt er einen Anruf, der dazu führte, dass er ständig die Wohnung wechselte, nur mit Bargeld bezahlte, damit er über Geldgeschäfte mit Kreditkarten oder Schecks nicht verfolgt werden könnte.
Der besagte Anruf war von einem Mann gekommen, der sich als Vertreter der Teamster-Gewerkschaft ausgab und den das FBI der Luchese-Familie von der New Yorker Mafia zurechnete. Man solle sich mal treffen, sagte dieser Mann, der – um das Klischee zu vervollständigen – ausgerechnet auch noch über eine Grabesstimme verfügte. An »geheimem Ort« kam man wenige Tage später zusammen. Dem gutmütigen Eason wurde klargemacht, dass er das »Geldschiff zum Kentern bringe«, wenn er versuche, Arbeiter bei jenem Transportunternehmen zu organisieren. Denn: Unternehmensleitung und Gewerkschaftsbosse hatten ein Geheimabkommen getroffen. Dafür, dass die Ge- werkschaft die billigen Arbeitskräfte nicht organisiert, erhalten die Gewerkschaftsbosse Bestechungsgelder. Ein Deal, der in den Vereinigten Staaten häufiger vorkommt; selbst der damalige US-Arbeitsminister Donovan, vorher Manager eines Unternehmens, wurde solcher Machenschaften beschuldigt. Matthew Eason wurde das Angebot gemacht, ein paar Tausend Dollar Bargeld einzustecken und das Unternehmen in Ruhe zu lassen.
»Lange brauchte ich nicht zu überlegen«, erinnerte sich Eason, »ich sah wieder meinen Vater vor mir, und damit war alles entschieden.«
Weil er es mit »Geschäftsleuten« zu tun hatte, denen er allein nicht gewachsen war, wandte er sich an das FBI, das allerdings noch keine Möglichkeit sah, selbst einzugreifen. Dafür fehlten die Beweise. So verabredete Eason erneut ein Treffen, das diesmal in einem Gewerkschaftsgebäude in Brooklyn stattfand; ein Haus mit falschen Wänden, versteckten Räumen, alten Gewölben. Eason war nicht wohl dabei, denn das FBI hatte ihm ein kleines Tonbandgerät und einen Sender um die Brust geschnallt.
Draußen auf der Straße würden, versteckt in einem Lieferwagen, FBI-Agenten zuhören. »Doch bevor die drinnen gewesen wären«, sagte Eason, »hätte man mich zerhacken und im Klosett runterspülen können.«
Das Gespräch verlief so, wie es sich für ein Geheimtreffen gehört. Der Raum wurde auf Mikrofone untersucht, der Telefonhörer abgeschraubt, Zahlen wurden nicht ausgesprochen, sondern nur auf Zettel geschrieben. Eason lehnte alle Summen ab.
Einige
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