Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
Vom Netzwerk:
noch ab, wenn du zurück bist. Bis dahin hab ich dich erst mal enterbt.
    Oj, lacht Inbar und fragt, ist es jetzt heiß bei euch?
    Chamssin , sagt sie, und, wegen des N am Wortende erinnert sie sich plötzlich an den Namen, der ihr entfallen war, und sagt: Ejtan hat mich angerufen.
    *
    Am Tag zuvor ist ihr im Laden an der Ecke entfallen, was sie kaufen wollte. Milch?, hatte Chaim gefragt. Eier … Brot … Margarine?
    Ach ja, Butter.
    Und Donnerstag hat sie das allwöchentliche Rommé-Spiel verpasst, weil sie aus irgendeinem Grund meinte, es wäre Mittwoch. Die Freundinnen riefen an, fragten, warum sie nicht kam, und sie genierte sich, den wahren Grund zu nennen, und schob vor, sie fühle sich nicht so gut, und am nächsten Tag wurde sie für diese Lüge sofort bestraft und fing sich eine richtige Grippe ein. Wenn sie eine Philippina hätte, könnte sie die zur Apotheke schicken, aber sie hat keine. Wenn man keinen Menschen um sich hat, den man liebt, glaubt sie, dann ist man auch besser allein. So schleppte sie sich zur Apotheke und kam richtig ins Schwitzen, kaufte eine Packung Tabletten gegen Erkältung und schwitzte auch auf dem Rückweg sehr. Die Tabletten gegen die Erkältung hat sie genommen, dafür aber vergessen, die anderen, gegen das Cholesterin, zu nehmen. Abends sieht sie im Fernsehen Shimon Peres und kann sich nicht entscheiden, ob der jetzt gerade Ministerpräsident oder Staatspräsident ist, oder ob er gegen einen von beiden intrigiert.
    Ihr Gedächtnis ist wie das Netz, das sie um ihre Haarzwiebel legt … Oder wie der Aprikosenkernkasten, den Inbar in der Grundschule gebaut hat. Die Löcher darin waren so groß, dass dieanderen Kinder problemlos ihre Kerne hindurchwerfen konnten, und am Ende der Pause war Inbar ihnen einige Aprikosenkerne schuldig geblieben und nach der Schule weinend zur Großmutter gerannt, weil sie wusste, dass bei ihr im Sommer immer eine Schale mit Aprikosen stand.
    Merkwürdig – Lili holt eine Aprikose aus dem Kühlschrank, teilt sie, nimmt den Kern heraus –, an Inbars Aprikosenkernkasten kann sie sich prima erinnern. Und auch an das, was auf jener Schiffsreise geschah, im letzten Jahrhundert, in allen Einzelheiten.
    Zum Beispiel – sie setzt sich auf ihren besonderen Stuhl, beißt von der Aprikose ab und behält den Fruchtsaft im Mund – erinnert sie sich, wie der Name des mysteriösen Schiffes war, das in der zweiten Woche ihrer Reise plötzlich vor ihnen auftauchte, als sie sich dem türkischen Hafen näherten: Ziona.
    Zuerst tauchten am Horizont die Masten auf, und eine Welle von Vermutungen überrollte das Deck: Wollte dieses Schiff sie vertreiben? Oder kreuzte es nur zufällig ihre Bahn?
    Je näher das fremde Schiff herankam, umso mehr Passagiere strömten an Deck, um es aus der Nähe zu sehen. Sogar die Seekranken kamen aus dem Schlafsaal herauf. Auch Lili beugte sich während der Redaktionssitzung der Bordzeitung dem Wunsch der Mitglieder und verkündete »aufgrund eines ungewohnten aktuellen Ereignisses« eine kurze Unterbrechung der laufenden Arbeit. Zusammen mit den anderen drängte sie sich an der Reling und legte die Hand über die Augen, um die näher Kommenden besser zu sehen. Doch wegen des zunehmenden Gewichtes auf der einen Seite krängte das Schiff beträchtlich, und der Kommandant musste über Lautsprecher befehlen: Alle Mann vier Schritte zurück! Sofort alle vier Schritte zurück!
    Sie traten etwas zurück, und das fremde Schiff kam näher, bis es in kurzer Entfernung gleichsam anhielt. Für einen langen Moment herrschte fassungsloses Schweigen. Auf dem Schiff gegenüber befanden sich elende, bis auf die Knochen abgemagerte Gestalten in abgerissenen Kleidern, mit salzigem Blick, zerrauftem Haar undwilden Augenbrauen, mit von der Sonne versengten Hälsen und sich schälender Haut, Traumverfolgte –
    Genau wie sie.
    Die Erkenntnis, dass sie Menschen betrachteten, die ihnen glichen, breitete sich langsam an Deck aus. Nicht, dass es hier keine Spiegel gegeben hätte – einige Frauen besaßen kleine Schminkspiegel, und in der Toilette gab es einen Spiegel für Männer, die sich rasieren wollten, und dennoch –
    Dennoch war nichts zu hören, außer dem Stampfen der Schiffsmaschinen. Keiner winkte, keiner nahm die Mütze ab. Zwei Schiffe mit illegalen Einwanderern lagen sich gegenüber, in völliger Stille, als breche gleich ein Kampf zwischen ihnen aus, als warteten alle nur auf den ersten Schuss.
    Und dann erklang Fimas Mundharmonika.
    Jedes Lied hat

Weitere Kostenlose Bücher