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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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runterzusteigen. Danach gingen sie nah beieinander, wie gute Freunde, und nachdem sie an Fima vorbeigingen, der eine Geige unters Kinn schob und den traurigen Geigen-Part von Shlomo Bars Kinder sind eine Freude spielte, baten sie die Frau mit der bunten Schirmmütze, die ihnen auf der Brücke entgegenkam, sie zum Andenken zu fotografieren, obwohl sie selbst keine Kamera hatten, und auch die Frau nicht.

Lili
    steht an einem Zeitungskiosk und liest die erste Seite der Wochenendausgabe. Ich verstehe nicht, sagt sie zu Fima, der dicht hinter ihr steht, ich versteh nicht, warum sie nicht von dem neuen Medikament gegen Einsamkeit berichten. Jede Redaktion trifft ihre eigenen Entscheidungen, sagt Fima und zieht den Feuilleton-Teil aus der Zeitung. So was tut man nicht, rügt sie ihn. Kauf die Zeitung wenigstens, bevor du sie aufschlägst. Sag mal, fragt er lachend, wirst du auch noch versuchen, mich zu bessern, wenn ich im Grab bin? Und er geht und kauft ein neues Eis, das »Magnum« heißt. Sie scheut sich davor, ihm zu sagen, dass er schon einige Jährchen im Grab liegt. Von seinem Magnum möchte sie nicht abbeißen, weil sie Angst hat, dass ihre Zähne wehtun werden. Schau, sagt er, akzeptiert es, und zeigt ihr eine Überschrift im Innenteil der Zeitung, »Junge Israelin in Südamerika vermisst«.
    Sie wacht in ihrem Bett auf, ohne Decke, die hat sie wohl im Schlaf von sich geworfen und vermutlich deshalb im Traum gefroren.
    Sie steht auf, setzt ihre dritten Zähne ein, macht sich ein Glas Tee und schmiert sich Zwiebäcke mit Margarine. All die Jahre hat sie Zwiebäcke gehasst, sie erinnerten sie daran, wie oft ihr auf jener Überfahrt schlecht geworden war, doch seit Natan nicht mehr lebt, ist ihr normales Brot zu weich.
    Als Natan noch da war, hatte sie ihm ihre Träume in allen Details erzählt. Auch die, in denen Fima vorkam. Die ersten Male hatte sie ihn noch gefragt: Stört es dich nicht, dass es in meinen Träumen einen anderen Mann gibt? Und er hatte mit den Schultern gezuckt, und als sie auf einer Antwort bestand, hatte er seine Hand auf ihre gelegt und gesagt: Von den beiden Möglichkeiten, der Mann zu sein, der in deinen Träumen rumspukt, oder der Mann, der mit dir zusammen frühstückt und seine Hand auf deine legt, bevorzuge ich die letztere.
    Natan redete nicht viel, aber manchmal sprach er, ohne es darauf anzulegen, Poesie.
    Nach seinem Tod hat sie ihre Träume Inbar erzählt. Morgens, bevor sie sie vergaß, rief sie Inbar auf ihrem Handy an, und dann tauschten sie Träume. Aber jetzt ist Inbar weit weg, und ihr Handy für eingehende Gespräche gesperrt. Gut, dass Inbari gefahren ist, denkt sich Lili. Das ist zwar nicht gut für ihre besorgte Großmutter, aber für sie ist es gut. Sie ist schon zu lange traurig. Zu lange schon scheinen in ihren Pupillen andere Orte auf. Ich weiß nicht, wo ichim Traum gewesen bin, aber ich weiß, es war nicht hier im Land, hatte Inbar ihr öfter erzählt, oder: Ich weiß nicht, wer der Mann war, aber Ejtan war es nicht.
    Wenn es bei der feierlichen Unterzeichnung des nächsten Mietvertrages für die Wohnung einen Moment geben würde, in dem der Anwalt fragt, ob jemand Einwände habe, würde sie aufstehen und sagen: Ich. Inbar soll nicht mit Ejtan zusammenwohnen, den sie nicht wirklich –
    Aber vielleicht auch nicht, sie beißt in einen Zwieback, vielleicht würde sie auch nichts sagen, denn es reicht ja, dass ihre Tochter sich von ihr entfernt hat, weil sie den Mund nicht halten konnte, da will sie es sich nicht auch noch mit ihrer Enkelin verderben.
    Sie seufzt und setzt sich auf ihren Erinnerungsstuhl. Als sie jung war, hätte sie nicht geglaubt, dass sie einmal wie alte Leute seufzen würde. Als sie jung war, hätte sie nicht geglaubt, dass ihre Tochter so sehr von ihr wegwollen würde. Als sie jung war, hätte sie nicht geglaubt, dass sie so alt werden würde, und auch nicht, dass Schönheit ein Geschenk ist, das eines Tages vergeht, oder dass sie in ihrem Leben einmal Schweinefleisch essen würde, ohne einen Anflug von Schuldgefühl. Als sie jung war …
    Der Kommandant des Schiffes hatte sie zu sich gerufen und sie gebeten, eine tägliche Bordzeitung herauszubringen (und heute Nacht hatte sie von einem Zeitungskiosk geträumt). Es gäbe zu viele Gerüchte an Bord, zu viele falsche Informationen, und es wäre gut, wenn wir jeden Tag ein Blatt mit den letzten Neuigkeiten herausbringen könnten. Natürlich müssten darin alle Sprachen, die auf dem Schiff gesprochen

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