Neuland
werden, angemessen vertreten sein, sagte er. Natürlich, dachte sie, müssen darin alle politischen Bewegungen, die hier auf dem Schiff vertreten sind, angemessen repräsentiert werden.
Ihr könnt mein Büro benutzen, schlug er vor, und noch am selben Abend rief Lili die Kulturbeauftragten aller Gruppen zusammen. Fima war auch dabei.
Bloß nicht dieser Komödiant, dachte sie, als er mit seiner Mundharmonika um den Hals ins Zimmer kam. Gleich spielt er irgendeine Hora und macht die ganze Sache zu Hohn und Spott.
Doch Fima erwies sich bei der Herausgabe dieses Blattes als hervorragender Partner. Die Idee gefiel ihm. Während die Kulturbeauftragten einiger Gruppen den Mund verzogen und schimpften, das sei ein »von oben bestelltes« Blättchen und wer wolle überhaupt lesen, wenn er hungrig und durstig war, hielt Fima die Bordzeitung für eine sehr wichtige Sache.
Ich persönlich habe kein Problem mit der Ungewissheit unserer Situation, sagte er, schaute Lili dabei an und wandte seinen Blick erst dann den anderen zu. Doch für die meisten Kameraden ist es schwer, ins Ungewisse zu fahren. Und zu dem Einwand, das sei
»von oben bestellt«, meinte er: Es liegt ganz an uns, was wir aus diesem Blatt machen. Wer schon im Vornherein beschließt, dass es »von oben bestellt« ist, stellt sich der Sache erst gar nicht. Warum können wir nicht zum Beispiel – er wandte sich an den Vertreter der religiösen Jugendbewegung – einmal in der Woche einen gelehrten Artikel zur aktuellen Wochenlesung in der Tora abdrucken, über Aspekte, die in unserer Zeit für den jungen Einwanderer relevant sind?
Aber sicher, rief der Vertreter mit leuchtenden Augen, das ist eine gute Idee. Unser Schiff versucht doch in den letzten Tagen, irgendwo anzulegen und Proviant zu erwerben – und Jakobs Söhne waren in einer ganz ähnlichen Situation, als sie nach Ägypten hinabzogen, um Nahrung zu kaufen. Vielleicht können wir daraus etwas für uns ableiten?
Genau das hab ich gemeint, sagte Fima abschließend und gab Lili mit einer unauffälligen Handbewegung zu verstehen, sie könne in der Leitung der Sitzung fortfahren.
Mit der Zeit entwickelten sie eine gute Arbeitsteilung. Lili war für die Gesamtplanung und den ordentlichen Ablauf zuständig: rechtzeitig die Spalten in den verschiedenen Sprachen zu bekommen, sie nebeneinanderzukleben, letzte Neuigkeiten hinzuzufügen und das eine Exemplar des Blattes am Eingang zum Schlafsaal aufzuhängen. Nachdem sich in den ersten Tagen große Menschenansammlungen vor dem Aushang gebildet hatten, entschied sie, ein zweites Exemplar anzufertigen und am oberen Ende der Treppe zum Deck anzubringen.
Fima dagegen war der Verantwortliche für gewagte Ideen. Einige von ihnen – etwa, eine Auswahl von Witzen zu veröffentlichen, die eine Jugendbewegung über die andere erzählte, damit das gemeinsame Lachen die Rivalitäten zwischen ihnen etwas entschärfe – musste sie verwerfen. Doch in anderen Fällen gelang es ihm, sie mit seiner Begeisterung mitzureißen. Wir müssen unseren Lesern das große Ziel ins Gedächtnis rufen, hatte er ihr gesagt. Man kann hier so leicht vergessen, warum wir überhaupt zu dieser Reise aufgebrochen sind und wohin wir wollen. Wer, wenn nicht Theodor Benjamin Zeev Herzl, kann uns daran erinnern?
In jeder Ausgabe ihres Blattes schrieben sie nun einen Abschnitt aus Altneuland ab. Wie zu erwarten, begannen sie mit dem Anfang von Kapitel fünf, das die »Futuro« beschrieb, jenes Schiff der Weisen, das mit Dutzenden von Intellektuellen, Forschern und Gelehrten, »dem erlauchtesten Geistesadel der Kulturwelt« an Bord Europa verlässt. Die einzige Aufgabe der Reisenden ist es, sich anlässlich dieser luxuriösen, wolkenlosen Frühlingsfahrt gemeinsam auszudenken, was man in Palästina alles aufbauen könne. Nach und nach veröffentlichten sie weitere Passagen aus dem Buch. Fima wählte aus, Lili übernahm das Kürzen.
Warum wählst du sie nicht gleich kürzer aus?, fragte sie ihn nach der ersten Woche.
Weil ich mich gern ganz auf dich verlasse, antwortete er ihr, und sein Adamsapfel verschwand plötzlich für einen Moment, als wäre er flach geworden.
Je mehr Tage vergingen, desto mehr verließ auch Lili sich in Angelegenheiten der Zeitung auf ihn und beriet mit ihm grundsätzliche Entscheidungen, die sie nicht alleine treffen wollte.
Zum Beispiel in der Sache mit den Diebstählen. Der Hunger auf dem Schiff wuchs, jeder Hafen, den sie ansteuern wollten, um Proviant aufzunehmen,
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