Neuland
des Hauses und stellte zwei Schalen, eine mit Marmelade und eine mit Hühnerschmalz, neben das Brot.
Lili und Esther nickten nur; mit vollem Mund konnten sie nicht reden.
Wisst ihr, dass in Europa gestern Krieg ausgebrochen ist?
Das wissen wir, sagte Esther.
Die Leute sagen, dass der Krieg zum Schluss bis zu uns hier gelangen wird. Nächste Woche werden die Briten Gasmasken verteilen, ich nehme an, dass auch ihr welche brauchen –
Entschuldigen Sie, unterbrach Lili sie. Sie wusste, der gerade ausgebrochene Krieg müsste ihr eigentlich Sorgen bereiten, doch in diesem Moment interessierte sie etwas ganz anderes. Wissen Sie vielleicht, was mit den illegalen Einwanderern passiert ist, die nach uns das Schiff verlassen haben?
Lasst uns nachsehen, sagte ihre Gastgeberin und breitete die Zeitung auf dem Tisch aus.
» Schoah !«, schrie eine umrahmte Überschrift unten auf der Seite. Lili kannte das Wort nicht und versuchte, es aus dem Kontext zu erschließen: »Alle Zähne fallen aus, Eiter und Entzündungen befallen Ihr Zahnfleisch? Fangen Sie noch heute an, die Zahnpasta Ginosi zu benutzen, und verhindern Sie so die Schoah in Ihrem Mund.«
Die Nachricht, die sie suchten, fand sich klein gedruckt auf der sechsten Seite. Die gestern in Tel Aviv angekommenen illegalen Einwanderer, die sich auf den letzten Booten befanden, wurden aufgegriffen und in das Internierungslager Sarafand verbracht, hieß es da ganz trocken.
*
Niemand konnte ihr mit Sicherheit sagen, dass Fima sich tatsächlich unter den in Sarafand Inhaftierten befand. Sollte es ihm aber gelungen sein, den am Strand wartenden Briten zu entkommen, würde er bestimmt auf der Beerdigung von Doktor Schwarz und Zwi Bichler erscheinen, deren Datum noch nicht feststand.
Bis zur Beerdigung streifte Lili mit Esther durch die Stadt. Sie haderte mit sich. Endlich war sie in Eretz Jisruel angekommen, doch statt dass ihr die Augen übergingen und sie wie Esther die Wunder des neuen Landes bestaunte, suchte sie nach einem glatzköpfigen Mann mit hervorstehendem Adamsapfel und zu großer Nase.
Schau mal, sagte Esther und hielt vor einer Anzeigentafel, hier gibt es ein Kino!
Sie blieben stehen und entzifferten zusammen die Filmtitel.
Und sogar ein Reisebüro!, rief Esther, zog Lili hinter sich her und kugelte ihr fast die Schulter aus.
Auf einem Kartonschild an der Tür des Reisebüros stand: »Besucht Frankreich, das Land der Schönheit. Erholungskur in Thermalquellen. Entspannung in den Bergen. Lebensfreude.«
Hättest du das gedacht? Ein jüdisches Reisebüro! Sollen wir nach la France fahren, Mademoiselle Lili? Eine Apotheke!, rief sie beim Anblick des nächsten Geschäfts, und danach, mit demselben unermüdlichen Staunen: Ein Grundstücksmakler! Ein Schuster! Ein Schneider! Ein Kiosk!
An dem Kiosk wurden Zigaretten mit hebräischen Namen verkauft: »Aluf« , »Atid« . Sie überlegte, ob sie ein Päckchen kaufen sollte, um es Fima nach Sarafand mitzubringen. Wenn er überhaupt in Sarafand ist, rief sie sich in Erinnerung, das weißt du ja gar nicht.
Was ist mit dir los?, fragte Esther, du bist heute so schweigsam.
Bin ich denn sonst geschwätzig?, schnippte sie zurück.
Nein, aber du bist so bleich, als schaukelten wir noch immer auf dem Schiff.
Esther hatte inzwischen ihren Haarknoten gelöst und den obersten Knopf ihrer Bluse aufgemacht, und die kurzen khakifarbenen Hosen standen ihr gut, mit ihren langen Beinen. Immer wieder zwinkerten ihr Arbeiter und Pioniere zu, und sie lächelte zurück und berührte dabei verlegen ihren Hinterkopf, als wäre der Knoten noch dort.
Ich warte auf Natan, sagte Lili, es war die Wahrheit, doch log sie auch, ich fürchte, er hat die Nachricht von der Ankunft des Schiffes nicht bekommen.
Von Fima konnte sie ihrer Freundin nicht erzählen. In sein Bett hinter dem Vorhang war sie im Schutze des Dunkels gekrochen und hatte es kurz vor der Morgendämmerung wieder verlassen. Was sie taten, hatten sie ganz im Stillen getan. In absoluter Stille, wie in einem Nebel, gleichsam im Traum. Lili hatte Angst, wenn sie von den Nächten reden würde, wenn sie ihnen Worte gäbe, würden die Gedanken sich auflösen und alles würde konkret werden. Zu konkret.
Komm, sagte Esther und zog Lili am Arm, zwei junge Männer, die ich heute Morgen getroffen habe, laden uns zum Abendessen in ihre Baracke im Montefiore-Viertel ein.
Ein andermal, sagte Lili. Ich möchte jetzt lieber an den Strand gehen und unser Schiff sehen.
Das Schiff? Wenn ich
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