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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Tefillin stammten, zuckte mit den Schultern und schickte sie weiter. Am Ende gab sie es auf, legte die Gebetsriemen vorsichtig zwischen einen einzelnen braunen Schuh und ein Buch von Achad HaAm, dessen Seiten noch nicht getrocknet waren, und ging.
    Am Ausgang traf sie auf eine Gruppe von ihrer Hachschara . Lili Freud, wie geht es dir?, riefen sie ausgelassen. Es ist, als ob ich träume, antwortete sie, log und log auch nicht. Sie schlugen ihr vor, sie mit dem Wagen zu der Wohnung in der Mase-Straße zu bringen, in der sie untergebracht war. Sie wog einen Augenblick die für sie unerträgliche Ausgelassenheit der Kameraden gegen ihre schmerzenden Beine ab und entschied sich, mitzufahren. Die ganze Fahrt über sangen sie laut; Lili machte nur Mundbewegungen und schaute aus dem Fenster, wer weiß, vielleicht war er ja dort irgendwo; und wenn, was wäre dann? Ein Gespann, dessen Zugpferd in der Hitze zusammengebrochen war, blockierte lange den Verkehr. Da hätte ich auch zu Fuß gehen können, dachte sie sich und wandte den Blick von dem toten, auf dem Rücken liegenden Tier, doch gegen den ekelhaften Geruch, der ihr in die Nase drang, konnte sie nichts machen. Am Anfang der Mase-Straße bestand sie darauf auszusteigen. Die anderen wunderten sich über ihre Beharrlichkeit, ließen sie aber. Dann sehen wir uns heute Abend im Brenner-Haus, da gibt es einen Vortrag über Erste Hilfe bei Luftangriffen, und danach ist Volkstanz, riefen sie ihr nach. Lili fragte sich, was das Brenner-Haus wohl war und warum es alle schon kannten, nur sie nicht.
    Eine plötzliche Bö hob sie hoch und setzte sie wieder auf die Erde. Im Eingang des Hauses, auf das sie zusteuerte, stand ein Mann. Sie hatte ihn von fern bemerkt und sich die Hand über die Augen gelegt, um besser gegen die Sonne zu sehen. Er winkte ihr mit ausgebreiteten Armen, in großen Bewegungen, kam dann mit schnellen Schritten auf sie zu und rannte bereits.
    *
    Übernachte du hier mit ihr, ich geh zurück ins Montefiore-Viertel, schlug Esther Natan vor. Ihr beide wollt sicher etwas zusammen sein.
    Das ist sehr nett von dir, Freundin von Lili.
    Ich heiße Esther.
    Und ich bin Natan, sagte er und reichte ihr die Hand.
    Ich weiß, sagte sie …
    Von der Straße her hörte man das Rufen der fahrenden Händler. Wie immer in den letzten beiden Tagen kamen auf ein Wort, das Lili verstand, zwei, die sie nicht kannte.
    Also, Esther, wie war es heute mit den jungen Männern aus dem Montefiore-Viertel?, fragte Lili, wollte den Moment hinauszögern, in dem sie mit Natan allein sein würde.
    Völlig unkultiviert, wilde chayes , sagte Esther und ihre Stirn errötete. Aber sie sind auch … ganz nett.
    Und was gab es zu essen?
    Zu essen? Esther wunderte sich, noch nie hatte sich ihre Freundin für solche Details interessiert. Brot und schwarze Oliven. Nichts Besonderes.
    Im Kibbuz, sagte Natan, sind Obst und Gemüse ganz frisch, du erntest es morgens, und abends liegt es auf deinem Teller. Tomaten, Zucchini, Gurken, Paprika …
    Lili beobachtete ihn, während er sprach. Er war hübscher als in ihrer Erinnerung. Ein frischer Kratzer auf dem Oberarm betonte seine Muskeln. Er hatte Farbe bekommen, und die Pickel auf seiner Stirn waren verschwunden. Seine Augen, die sie streichelten, während er redete, waren absolut rein, ohne einen Funken Schuld. Ein Verrechnen der Sünden würde es hier nicht geben.
    Apfelsinen, Äpfel, Pflaumen, Weintrauben, zählte er weiter mit leuchtenden Augen auf, Honigmelonen und Wassermelonen, natürlich jeweils zur Saison.
    Wann fahrt ihr denn in den Kibbuz?, unterbrach Esther ihn vorsichtig.
    Morgen früh, sobald es hell ist.
    Morgen, das geht nicht, sagte Lili, in gröberem Ton als beabsich- tigt, und Natan schaute sie an und kratzte sich mit dem kleinen Finger am Ohr, wie er es auch dort, in Polen, getan hatte, wenn er verlegen war.
    Morgen, das ist unmöglich, wiederholte sie, nun etwas kontrollierter. Morgen ist die Beerdigung der beiden, die auf dem Schiff erschossen wurden …
    *
    Auf der Beerdigung sah sie ihn nicht. Sosehr sie sich auch umschaute, sie sah ihn nirgendwo, nicht vor sich, nicht links und rechts von sich und nicht hinter sich, und sein Klezmer-Orchester war auch nicht erschienen, es gab keine Musik, nur lange Reden, eine nach der anderen, und alle auf Ivrith, was die meisten Trauergäste nicht verstanden. Auf dem Friedhof herrschte großes Durcheinander; die Männer nutzten das Gedränge, um sich an Frauen zu drücken. Lili bat Natan, sie ein

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