Neuland

klarer sieht.
    Was ist daran klar? Du hast dir doch ins Hirn geschissen. Und dann ziehst du auch noch andere mit hinein –
    Das ist nur eine Art, die Dinge zu betrachten, Dorinju.
    Vergiss es, rief Dori, fuchtelte wütend und verzweifelt mit den Händen. Mit dem kann man nicht reden, komm, Inbar, wir gehen.
    Inbar, meine Liebe – Meni ignorierte Dori und wandte sich nun an sie –, du bist natürlich eingeladen, hierzubleiben, wenn du möchtest. Über deine Wunde haben wir noch gar nicht geredet. Und außerdem hat Sara den Eindruck, dass du uns, unserer Gemeinschaft hier viel geben könntest.
    Danke, sagte Inbar. Ich habe auch den Eindruck, dass ihr mich ein ganzes Stück weiterbringen könntet, aber … ich werde zu Hause gebraucht.
    Ein Donnergrollen ließ die Fensterscheiben erzittern, und das Zwitschern der Vögel, das in Neuland seit ihrer Ankunft ununterbrochen zu hören war, verstummte.
    *
    Doris Vater kam gerade in dem Moment zu ihnen heraus, als sie in strömendem Regen ihre Rucksäcke in Victorcitos Pick-up verstaut hatten. In der Hand hielt er einen kleinen Gegenstand und reichte ihn Dori: ein Regenrohr.
    Hier, sagte er, das ist, was Neta sich gewünscht hat, oder?
    Dori nickte erstaunt.
    Es tut mir leid, Junge, … dass du so von dannen ziehst. Und dennoch freue ich mich, dass du zu Besuch gekommen bist. Küss alle von mir. Und sag Ze’ela, dass ich absolut in Ordnung bin. In der Gegend hier hat es seit über zweihundert Jahren keinen Krieg gegeben, da muss sie sich keine Sorgen machen. Aber sie soll sich um sich selbst und um die Kinder sorgen. Und sag Neta, dass Opa alles tut, damit er an einem besseren Ort aufwachsen wird. Und sagt Dani Klein, dass unser Problem nur der Trainer ist: Solang er kein echtes Kaliber von Trainer besorgt, haben wir keine Chance, die Meisterschaft zu gewinnen. Oh, siehst du, jetzt lächelst du ein bisschen. Du bist so ernst, mein Junge. Alles ist bei dir so verschlossen. Erlaub dir, ein bisschen auseinanderzubrechen. Nur so kannst du dich wieder neu zusammensetzen.
    Lass ihn nicht so ernst sein, Inbar, okay?, sagte er zu ihr, beugte sich herunter und küsste sie auf die Wange. Sogar sein Geruch war dem von Dori etwas ähnlich.
    Sie stieg in den Wagen, sehnte sich nach der Wärme der Heizung und staunte, dass er in den beiden Tagen ihr gegenüber so herzlich gewesen war, wo er doch wusste, dass Dori Frau und Kind hatte. Er hat sich mir gegenüber die ganze Zeit so benommen, als habe er mich visioniert, als sei ich Neuland, dachte sie.
    *
    Durchs Fenster sah sie im Licht der Scheinwerfer Dori und seinen Vater: Sie standen sich noch ein paar Augenblicke im peitschenden Wind gegenüber, als würden sie sich gleich umarmen.
    So blieben sie stehen, aufrecht, wie vor dem Zweikampf um das Herz einer Frau.
    Und zum Schluss ein kurzer Händedruck. Beinah feindselig. Dann machte Dori auf dem Absatz kehrt und stieg in den Pickup. Und auch sein Vater machte auf dem Absatz kehrt und gingzurück nach Neuland. Das Schild »Mensch, du bist mein Bruder« zeigte ihm seinen Weg, und seine hängenden, traurigen Schultern schwankten beim Gehen.

Inbar und Dori
    hatten noch einen Moment der Wahl. Auf dem Flughafen in Buenos Aires.
    Alfredo hatte ihnen zwei Tickets besorgt. Ein Anruf von Victorcito – und er zog an ein paar Fäden, so dass sie nebeneinander sitzen konnten.
    Am Schalter von El Al herrschte kein besonderer Andrang. Keiner flehte die Flugbegleiter an, in das Land, in dem Krieg war, zurückkehren zu dürfen. Dennoch war die Anspannung bei vielen Israelis nicht zu verkennen. Das dauernde Geklingel der Mobiltelefone, die Schweißflecken unter den Achseln, die Sorgenfalten zwischen den Augenbrauen.
    Verwundete, sagte sie zu Dori. Genau, wie es dein Vater gesagt hat.
    Verwundete. Er musste ihr Recht geben.
    Nach der Passkontrolle trennten sie sich, um im Duty-free-Shop Geschenke zu kaufen, jeder für sich. Er kaufte für Roni ein Schmink- und Gesichtspflege-Set und Unmengen Schokolade und Spielzeug für Neta. Sie kaufte ein Pflegeset für Männer für Ejtan und Unmengen Schokolade und Spielzeug für Reuven (obwohl sie sich nicht sicher war, ob ihre Familie aus Australien jetzt, wo Krieg war, kommen würde).
    Er ging in die Herrentoilette und sah, dass er weniger graue Haare hatte. Er dachte, das kann nicht sein, das gibt es doch nicht, dass Haare wieder schwarz werden.
    Sie ging in die Damentoilette und sah im Spiegel, dass sie viele Pickel im Gesicht hatte, wie in der Pubertät, bevor