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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Zähne: Noch so ein Jude, was habt ihr nur, ihr Juden, kannst du mir das erklären, Dori? Hör zu, was ich dir sage: Außer den fünf Sinnen, die normale Menschen haben, habt ihr noch einen sechsten Sinn: einen für Sorgen.
    Dori antwortet nicht, er überlegt sich, ob das wohl eine antisemitische Bemerkung war oder nicht. Alfredo lässt den Caravan an, macht ihn aber plötzlich wieder aus und flucht la concha! Er sucht etwas an seinem Körper, auf seinem Kopf, in der Hemdtasche, in der Hosentasche und flucht wieder.
    Was hast du verloren?, fragt Dori, der diese Situation gut kennt. Zu Hause ist er derjenige, der für Roni alles findet, was sie bei ihren schnellen Bewegungen fallen lässt und danach sucht. Schlüssel, Geldbeutel, die Fernbedienung des Fernsehers.
    Meine Sonnenbrille, schimpft Alfredo.
    Dori schließt die Augen, rekonstruiert den Ablauf des Morgens und sagt: Sie liegt im Hotel, auf der Theke der Rezeption. Neben der Klingel. Ich hol sie dir schnell, wenn du willst.

Alfredo
    Armer Kerl, dieser Mister Dori. Er wollte von meinem Telefon aus zu Hause anrufen, und bevor ich das Gespräch, das gerade reinkam, beenden konnte, ist er schon eingeschlafen. So ist das bei den Gringos: In den ersten Tagen kommt ihr ganzer Körper durcheinander. Und manchmal auch die Seele. Schlaf ein bisschen, Mister Dori, für dich dreh ich auch die Musik etwas leiser. Erwachsene sind, wenn sie schlafen, wie kleine Kinder. Auch die größte putana sieht wie ein kleines Mädchen aus, wenn sie schläft. Manchmal bezahl ich ihnen noch eine Stunde, nur um sie schlafen zu sehen.
    Er hat lange Wimpern, der Mister Dori. Wie ein Mädchen, und auch so schmale Augenbrauen. Aber die Stirn ist stark, wie bei einem Mann, und kurz unter dem Haaransatz hat er eine Falte, die kenne ich excelente . Diese Falte bekommst du, wenn dir dein Vater oder deine Mutter stirbt. Sie ist nicht sehr lang, diese Falte, aber tief. Wie ein Spalt. Schweißtropfen können in ihr fahren wie im Flussbett eines cañón .
    Vor einem Jahr ist seine Mutter gestorben, an einer Krankheit, das hat mir Seela erzählt. Sie hat auch erzählt, dass viele Leute bei der Beerdigung waren, in Jerusalén . Dass es ein sehr heißer Tag war. Dass eine frühere Kollegin der Mutter anfing, eine Rede vom Blatt abzulesen, aber nicht weitermachen konnte. Dass um dieselbe Zeit auf dem Friedhof jemand anderes beerdigt wurde, der bei einer Explosion in einem Autobus umgekommen war, und dass der beschissene Mann von Seela, also der, der damals nochihr beschissener Ehemann war, zu spät kam, weil er sich bei der Arbeit hat aufhalten lassen und dann aus Versehen erst mit dem anderen Trauerzug mitgegangen ist. Keine Ahnung, warum sie mir das alles erzählt hat. Aber so ist das bei jedem Gespräch mit dieser Seela. Erst versucht sie, den Preis runterzuhandeln, und streitet mit mir über verschiedene Absätze des Vertrages, und dann erzählt sie immer mehr aus ihrem Leben. Sobald sie damit anfängt, kriegst du kein Wort mehr dazwischen. Das ist das Problem mit einsamen Leuten. Wenn du ihnen zuhörst, fressen sie deinen ganzen Kopf. Seit unsere Mutter die Welt verlassen hat, hat Seela mir erzählt, gehen alle weg, mein Vater hat sein Büro verlassen und macht eine Reise nach Südamerika, als hätte er gerade den Wehrdienst beendet. Ich habe meinen Mann verlassen. Und sogar im Museum sind alle gegangen; innerhalb von einem halben Jahr haben alle aus Mutters Team aufgehört. Nur mein Bruder Dori hat noch keinen verlassen. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob er um unsere Mutter geweint hat. Ich hab ihn zumindest nicht weinen sehen. Und gerade deshalb, sagte sie mit etwas ernsterer Stimme, mach ich mir Sorgen um ihn, Señor Alfredo. Ich bin eben seine große Schwester, nichts zu machen. Ich würde sofort an seiner Stelle fahren, wenn ich könnte, das heißt, wenn mein Ex nicht so ein Scheißkerl wäre. Sie werden ja sehen, wenn Sie ihn treffen, ich meine Dori, nicht meinen Ex. Dass Sie sich nicht täuschen, er sieht so ernst und verantwortungsbewusst aus und auch ein bisschen steif, wie einer, auf den man sich verlassen kann. Aber innen drin ist er Feuer, glauben Sie mir. Einmal, in der Grundschule, hat er eine Schulbank umgeschmissen. Ein Lehrer hatte ihn nicht vorlesen lassen, weil er Schüler hören wollte, die sich damit schwertaten. Und ein andermal beschuldigte ihn eine Lehrerin, er hätte abgeschrieben, da war er so beleidigt, dass er sich noch nicht einmal verteidigt hat. Er ist einfach

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