Neuland
paar Monaten in Eretz Jisruel , nicht wahr?
Das werd ich mir niemals verzeihen, sagt sie immer. Und der Schmerz, den diese Geschichte weckt, wird mit den Jahren nicht schwächer, sondern im Gegenteil, immer stechender. Mein Vater stand draußen, sagt sie und hält das Weinglas in der Hand, ohne davon zu trinken, und dort draußen zu stehen, das ist nicht wie hier, dort ist es nachts kalt, dort ist der Regen sogar im Sommer zornig. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt einen Schirm dabeihatte. Aber er hat vor der Tür gestanden und gewartet. Nur, weil er hoffte, mich vielleicht noch einmal zu sehen.
Aber das hast du doch nicht wissen können, Großmutter! Niemand konnte damals wissen, dass … versucht Inbar dann, sie zu überzeugen.
Das tut nichts zur Sache, erwidert die Großmutter, nicht bereit, weniger scharf mit sich ins Gericht zu gehen. Ich bin in dieses Hotel gegangen und habe alle Kameraden aus dem Hechalutz getroffen. Wir haben getrunken, getanzt und gelacht, und darüber habe ich vergessen, dass mein Vater draußen auf mich wartete. Und am nächsten Tag ging es schon zur Eisenbahn, zu dem Zug, der uns zum Hafen brachte. Und meinen Vater habe ich nie mehr gesehen.
Jeden Sederabend erzählt Großmutter Lili dieselbe Geschichte, nachdem Tante Nira, die gar keine Tante ist, sondern vielmehr Großvaters unverheiratete Schwester, von ihrer Flucht aus dem britischen Gefängnis berichtet hat, und Onkel Simo von dem großen Tag, an dem man ihn im Rahmen des Abkommens nach dem Jom-Kippur-Krieg aus dem syrischen Gefängnis freiließ. Nur Großmutter Lili muss, fast wider Willen, die gute Stimmung der persönlichen »Geschichten zum Auszug aus Ägypten« kaputtmachen, mit ihrem Vater, der umsonst gewartet hat, unten an der Hoteltreppe, mit ebendieser Karakulmütze auf dem Kopf, von der er ihr in seinem letzten Brief an sie, bevor die Briefe ganz abbrachen, geschrieben hatte, Banditen hätten sie ihm mitten in Warschau vom Kopf gerissen und nicht mehr zurückgegeben.
Nachdem sie zu Ende erzählt hat, spürt man noch deutlicher, dass der Stuhl des Propheten Elia leer ist, und dann beginnt immer einer zu singen, um die bedrückende Stimmung zu verjagen, und alle stimmen ein und brüllen aus trockenen Kehlen, trunken vom Festtagswein: Ein Lämmchen, ein Lämmchen, mein Vater kauft’ es für zwei Münzen, ein Lämmchen, ein Lämmchen , und nur sie bleibt stumm, singt nicht mit. Ihre Gedanken wandern zu jener Reise.
Inbar
Man sollte in Flugzeugen eine Extraklasse für Babys einrichten, überlegte Inbar, die erste Fluggesellschaft, die so etwas macht, wird Millionen verdienen – eine eigene Abteilung, die mit einer schalldichten Wand vom Rest der Passagiere getrennt ist. Das Ticket würde ein bisschen teurer sein, ein bisschen viel teurer sogar, aber man bekäme auch eine Wickelecke, besondere Filme für Babys und natürlich besonderes Babyessen, um ihnen ein wenig den Mund zu stopfen.
Kaffee oder Tee?, fragte eine bemühte Flugbegleiterin.
Weder noch, antwortete Inbar.
Vielleicht etwas anderes? Die Frau ging nicht weiter.
Drehn Sie doch bitte dem Kleinen den Hals um, damit er aufhört zu schreien und zu sabbern.
Wie bitte? Was haben Sie da gesagt?
Ich sagte nur: Gehn Sie doch bitte mal nachsehn, vielleicht haben Sie für mich was Kleines zum Knabbern?
Die ehrenwerte Matrone neben ihr warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, der sagte: Wenn Sie erst mal Kinder haben, werden Sie nicht mehr so reden. Ich weiß nicht, ob ich je eigene Kinder haben werde, antwortete Inbar im Stillen, ich fliege unter anderem auch deshalb, weil ich mir ebendarüber klar werden muss. Ich kann Ihnen nur sagen, dass dieses Geschrei – im Grunde ist es ja ein einziger, lang anhaltender Schrei – das Pendel kaum in Richtung »ja« ausschlagen lassen wird.
Sie blickte durchs Fenster aufs Meer. Aus dieser Höhe sah man keine Wellen, nur einen ausgerollten blauen Teppich, und an dessen Rand ein Schiff, wie ein am Ende des Tages im Wohnzimmer liegen gebliebener Schuh. Wer fährt heute überhaupt noch mit Schiffen? Moderne Piraten? Illegale Fischer? Bitte schön, sagte die Flugbegleiterin, indem sie ihr einen Müsliriegel auf das kleine Tischchen legte, den gibt es eigentlich nur in der Business-class, aber es ist uns wichtig, dass unsere Kunden zufrieden sind.
Da siehst du’s mal wieder, dachte Inbar, genau deshalb war ich nie eine gute Kellnerin. Diese billige Schleimerei, das habe ich nie gekonnt.
In ihrem ersten Job in Tel Aviv
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