Neulandexpedition (German Edition)
Elias.
Damit gab es jetzt jedoch noch mehr das zwischen uns stand. Nicht nur dieser Kuss, was durchaus gereicht hätte, sondern auch diese Lüge. Eine weitere Lüge und ich hatte keine Ahnung wie viele noch hinzukommen mussten, um aus dieser verfahrenen Situation herauszukommen.
Erneut zuckte ich zusammen als Rony nach einer kleinen Verschnaufpause wieder die Säge schwang und dem nächsten Wald zu Leibe rückte. Seufzend versuchte ich im Dunkeln des Zeltes, die Ziffern meiner Armbanduhr zu erkennen. Mein kleines Nachtlicht ruhte sicher verwahrt in meinem Rucksack. Hier hatte ich mich nicht getraut, es auszupacken. Ich fürchtete mich insgeheim zu sehr vor Ronys Spott. Selbst wenn er es nicht böse meinen würde. Rony meinte nie irgendetwas böse. Er war nur wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, aber durch und durch gutmütig. Trotzdem war er nicht Bjorn, vor dem mir so gut wie nichts peinlich war.
Kunststück, er hatte selbst viel zu viele Macken, die ihm aber alle nicht unangenehm schienen. In seiner Gegenwart nahm ich mir daher meist schlichtweg ein Beispiel an ihm. Zudem wusste ich genau, dass er mich nicht verpetzen würde. Nicht einmal bei Elias.
In Ronys Fall sah dies allerdings anders aus und so biss ich lieber in den sauren Apfel und ertrug auch die Dunkelheit.
Ihn hielt ich nun allerdings nicht mehr länger aus. Ich musste raus hier, raus aus diesem stickigen kleinen Zelt – sofort. Weg von seinem Schnarchen und seiner Knoblauchfahne, sonst überlegte ich mir das mit dem Kissen doch noch anders.
So leise wie möglich schnappte ich mir meine Kapuzenjacke, zog sie über und kletterte aus dem Zelt. Die kühle Nachtluft jagte mir ein Frösteln über die nackten Beine. Dennoch ging ich nicht zurück, obwohl ich auch nicht wusste, wohin ich nun sollte.
Das Lager war, bis auf Ronys Schnarchen, ruhig. Nur der Wind wisperte in den Blättern. Mein Blick wanderte über die Zelte und wieder einmal wunderte ich mich, dass ich hier war. Hier bei dieser Truppe.
Sie waren alle etwas Besonderes. Jeder aus diesem bunt gemixten Haufen, der auf den ersten Blick so gar nichts gemeinsam hatte. Ich hingegen war nichts Besonderes. War weder witzig noch interessant, sondern ein Langweiler und Angsthase. Ich passte nicht hierher und ich befürchtete ständig, dass sie es bemerkten. Dass Bjorn es bemerkte.
Automatisch wanderte mein Blick zu unserem Zelt. Nein, korrigierte ich mich, nicht mehr unser, sondern seins und Elias . Ich ballte die Hände zu Fäusten, grub die Fingernägel in die Handinnenflächen.
Ob er wohl schlief? Natürlich schlief er! Oder nicht?
Angestrengt versuchte ich irgendetwas zu erkennen und tat es natürlich nicht. Das Zelt war dunkel und nichts regte sich darin. Aber Bjorn war auch niemand, der Licht zum Einschlafen brauchte. Das hatte er nur wegen mir mitgemacht.
Mir war noch nie ein Mensch wie Bjorn begegnet. Er war definitiv etwas Besonderes, einzigartig – für mich. Und jetzt würde er vielleicht nie mehr mit mir reden.
Diese Aussicht ließ mich abrupt den Blick von dem blauen Iglu abwenden. Wir brauchten einfach Zeit, nur ein wenig Zeit und Abstand, dann würde sich das wieder einrenken. Ganz sicher, weil es das musste. Daher war es gut, dass ich geflüchtet war und jetzt nicht dort neben ihm lag. Es war richtig, besser. Wie hätten wir auch nach dem Geschehenem einfach so nebeneinanderliegen sollen? Das wäre doch unmöglich gewesen. Ja, das wäre es.
Erneut späte ich auf meine Uhr. Halb vier, super. Da mir nichts Besseres einfiel, ging ich zur Lagerfeuerstelle und setzte mich dort auf einen der Klappstühle. Fröstelnd zog ich die Jacke enger, vergrub die Hände in den Taschen und starrte auf den See. Sonnenaufgänge sollten schön sein. Vielleicht sah ich heute ja den ersten meines Lebens.
Ich tat es tatsächlich. Knapp zwei Stunden später kroch die Sonne langsam über den See. Verwandelte ihn in ein Farbenmeer aus Gold, Orange, Pink und Lila. Der Anblick erinnerte mich an den Abend zuvor. Als noch alles in Ordnung gewesen war, Bjorn neben mir gesessen und wir zusammen dieses Farbschauspiel betrachtet hatten. Schnell verdrängte ich diesen Gedanken. Er versetzte mir einen Stich.
Bereits seit einer guten Stunde war ich auch nicht mehr ganz allein. Am Ufer war eine Entenfamilie erwacht und quakend Richtung Wasser gewatschelt. Nun paddelten sie munter im Wasser.
Ich beobachtete sie mit brennenden Augen. Vor Müdigkeit, zumindest redete ich mir dies ein. Ich durfte nicht
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