Neulandexpedition (German Edition)
ansah.
„Es reicht jetzt, Achim. In meinem Haus wirst du nicht so mit deinem Bruder reden!“, donnerte mein Vater, eine kleine Ader trat sichtbar auf seiner Stirn hervor. Alarmstufe rot. Wenn es soweit war, suchte man besser das Weite.
„Fein, dann geh ich eben“, trat Achim auch gleich beleidigt den Rückzug an. „Ich ertrag's eh nicht zusammen mit so 'ner dreckigen Schwuchtel in einem Raum zu sein“, spuckte er mir noch entgegen und rauschte Türknallende aus dem Haus.
Bedrückt sah ich meinen Vater an. „Papa, ich ... es tut mir leid“, brachte ich erstickt hervor.
„Dir muss es doch nicht leidtun, Johan. Dein Bruder ist derjenige, der über sein Verhalten nachdenken muss und von dem eine Entschuldigung fällig ist.“
Die ich aller Wahrscheinlichkeit nicht bekommen würde, das wussten wir beide. Eher redete Achim nie wieder ein Wort mit mir.
„Was ist denn mit Achim los und warum brüllt ihr so? Wollt ihr dem alten Böhmer Futter für sein Getratsche liefern? Euch hört man ja bis draußen“, die Arme in die Hüften stemmend gesellte sich nun auch meine Mutter zu uns. Abwechselnd sah sie uns an.
„Ich bin schwul.“ Es auszusprechen war schwer, jetzt nicht minder als noch vor ein paar Minuten. Aber es musste raus, viel zu lange hatte ich es unterdrückt.
Die Minuten – oder waren es nur Sekunden? – die ich auf die Reaktion meiner Mutter wartete, waren die längsten meines Lebens. Würde auch sie mich ablehnen? Mich verstoßen?
Doch sie nickte nur, ich spürte die Hand meines Vaters auf der Schulter. Sanft drückte er sie und mir fiel eine Zentnerlast von der Seele.
„Dein Vater und ich haben uns schon gefragt, wann du endlich den Mut dazu finden wirst“, sagte sie schlicht. Überrascht schaute ich zwischen ihnen hin und her.
„Ihr wusstet...“
„Wir sind deine Eltern, Johan“, rügte mich mein Vater sanft.
„Aber warum habt ihr nie...“, ich stoppte und stellt mir vor, wie ich wohl reagiert hätte, wenn sie mich darauf angesprochen hätten. Leugnen, ganz eindeutig. Das sahen wohl auch die beiden so.
„Es war deine Entscheidung, wann du mit uns darüber sprechen möchtest“, meinte Mama, wirkte aber doch nicht ganz so locker, wie sie versuchte zu erscheinen.
„Achim...“, betreten sah ich zu Boden.
„Dein Bruder beruhigt sich schon wieder“, mein Vater klang dabei zuversichtlicher, als ich mich fühlte. Achim würde sich nicht beruhigen. Er verachtete alles, was nicht in sein Weltbild passte und ich tat es mit Sicherheit nicht.
„Ich wollte euch eigentlich zum Frühstück holen. Kommst du, Johan? Du musst noch was essen, bevor du fährst“, forderte mich meine Mutter auf, das Thema war für sie anscheinend erledigt. Also auf zur Tagesordnung.
„Ich komm gleich nach“, murmelte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Noch einmal klopfte mir mein Vater auf die Schulter und meine Mutter strich mir übers Haar. Kurz schloss ich die Augen, als ich sie wieder öffnete, traf sich unser Blick. Es hatte sich nichts verändert, sie sah mich immer noch mit der gleichen Liebe an, wie all die Jahre zuvor. Fast hätte ich vor Erleichterung angefangen zu heulen.
Krampfhaft behielt ich das Lächeln bei, was sofort erlosch, sobald sie das Zimmer verlassen hatten. Meine Knie gaben nach und ich sackte kraftlos zu Boden.
Kapitel 23
Nach diesem Vormittag nahm ich einen früheren Zug. Ich wollte weg und bloß nicht mehr da sein, wenn – oder eher falls – Achim wieder nach Hause kam. Während der Fahrt rief ich bei Bjorn an und natürlich fragte er mich gleich, ob etwas passiert sei, aber ich konnte ihm das Ganze nicht am Telefon erklären, also vertröstete ich ihn auf später. Ich musste meine Gedanken und Gefühle sowieso erst einmal sortieren.
Niemals hätte ich gedacht, dass meine Eltern so verständnisvoll reagieren würden. Wenn ich an Achim dachte, bildete sich allerdings ein harter Knoten in meinem Hals. Ich zog die Nase hoch, starrte aus dem Zugfenster und kam dann doch nicht drumherum mir mit den Ärmeln meiner Jacke über die Augen zu wischen. Nein, ich würde wegen dem Arsch nicht anfangen zu flennen und wenn, dann höchstens vor Wut. Was bildete der sich eigentlich ein? Mich so zu behandeln! Mich zu schlagen!
Krank, ekelhaft, widerlich.
Seine Worte hallten erneut durch meinen Kopf, und wenn ich an den Ausdruck in seinen Augen dachte, wurde mir jetzt noch ganz anders. Ich fröstelte und zog trotz sommerlichen Temperaturen die Jacke enger um mich und rutschte
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