Neulandexpedition (German Edition)
übertrumpfen würde, weil es schlichtweg keine Rolle spielte. Es gab keinen Boss. Niemanden, der mit blöden Sprüchen oder Verhalten die Anderen klein halten musste, damit er größer erschien. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich gewesen.
Denn selbst in der Schule war ich immer der Außenseiter gewesen, weil ich nicht in der Stadt gewohnt und daher selten etwas mit den Anderen unternommen hatte.
So hockte ich die Hälfte meiner Jugend allein in meiner „Höhle“, und hing meinen Träumen nach. Ich dachte aber nie, dass diese je in Erfüllung gehen würden. Das war nun aber der Fall; ich hatte Bjorn. Ich hatte jemanden, der mich respektierte, der mich nahm, wie ich war. Bei dem ich nichts vorspielen musste, ich mich wohlfühlte und der mein Herz schneller schlagen ließ.
Jetzt allerdings hielt ich mich wieder lieber am Rande des Geschehens auf. Versuchte niemanden direkt anzusehen, damit keiner auf die Idee kam, sich mit mir unterhalten zu wollen. Natürlich tat es der eine oder andere doch. Hauptsächlich die älteren Gemeindemitglieder, die sich erkundigten, wie es denn war so weit weg von zu Hause. Wäre ich ehrlich gewesen, hätte ich sie garantiert schockiert.
Ich sei dünn geworden, und sähe nicht gut aus, meinte Frau Merkensberg. Was ihrerseits glatt gelogen war, das wusste ich, denn meine Waage und auch mein Spiegel sagten etwas anderes.
Die ganze Zeit behielt ich die Uhr und Achim im Blick, damit ich ja nicht in seine Nähe geriet. Als ich wieder einmal vor ihm in Deckung ging, lenkte plötzlich die Stimme meines Onkels meine Aufmerksamkeit in eine der Sitznischen.
„Wo steckt eigentlich dein Jüngster schon wieder? Hält sich wohl für was Besseres, was? Ich weiß auch gar nicht, warum du ihn bei diesem Unsinn unterstützt. Wir haben alle im Familienunternehmen gearbeitet, und es hat keinem geschadet“, zischte mein Onkel und führte mir einen weiteren Unterschied vor Augen, der mich ausgrenzte. Ich war das schwarze Schaf, das aus der Reihe tanzte. „Warum muss der Junge studieren, statt Geld zu verdienen, wie alle anderen es auch tun?“
„Weil er es kann“, meinte mein Vater ruhig. „Er hat nun mal den Grips.“
Verblüfft blinzelte ich. Wie wohl auch mein Onkel, denn er schwieg einen Moment, um dann loszupoltern: „Willst du damit sagen, mein Bruno sei blöd?“
Ich betete nur, dass Papa nicht ehrlich antwortete, ansonsten würde diese Feier eine sehr unschöne Partyeinlage bekommen. Allerdings bekam ich die Erwiderung nicht mit, denn Frau Merkensberg packte mich am Arm und zog mich Richtung Buffet. Wie gesagt, war ich ihrer Meinung nach zu dünn, was geändert werden musste. Ohne auf meinen Protest zu achten, häufte sie meinen Teller mit Krabbensalat und Schweinerippchen voll. Mein armer Magen.
***
Verschlafen schlich ich vom Bad wieder die Treppe zu meinem Dachboden hinauf. Gestern war es später geworden, als ich gedacht und gewollt hatte. Erst um halb drei war ich nach Hause gekommen. Schuld daran war meine Tante gewesen, die mich immer wieder aufhielt, sobald ich die Tür anvisierte, um zu verduften. Schließlich sahen wir uns so selten. Für mich nicht selten genug.
Mein Magen fühlte sich nach der Mästerei des Abends komisch an, und dieser Schnaps, den mein Cousin mir aufgedrängt hatte, war wohl auch schlecht gewesen.
Da mein Zug erst am frühen Nachmittag fahren würde, konnte ich mich jetzt glücklicherweise noch ein bisschen im Bett verkriechen, bis mich dann aller Wahrscheinlichkeit meine Mutter aus diesem schmeißen würde.
Auf halber Höhe der Treppe stutzte ich jedoch plötzlich. Mit einem Mal war ich hellwach. Ich hatte die Tür geschlossen, da war ich mir sehr sicher, nun stand sie allerdings ein ganzes Stück auf.
Schnell überbrückte ich die letzten paar Stufen und trat in mein Zimmer. Was ich dort sah, ließ meinen Magen noch mehr rumoren. Achim stand vor meinem Schreibtisch, den Kopf gesenkt, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte und er hatte ... Oh Gott, er hatte mein Handy in der Hand und klickte sich durch das Menü.
„Was machst du da?“, fragte ich alarmiert, kam anscheinend aber zu spät.
„Das sagst du mir besser mal!“ Anklagend hielt er mir das Telefon entgegen, ein Foto von Bjorn und mir auf dem Display. Nun wurde mir wirklich schlecht.
Ich hatte hin und her überlegt, wie und wann ich es ihnen sagen sollte, aber dass gerade Achim es so erfuhr, war der reinste Albtraum. Meine Gedanken überschlugen sich, mir wurde
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