Neulandexpedition (German Edition)
hinein. Wäre ich jetzt in Essen und nicht hier, hätte ich mich zu einem meiner Freunde gesellt, wo ich mich wohl und sicher fühlen würde, doch hier hatte ich keine Freunde. Hatte sie noch nie gehabt. Das wurde mir gerade nach diesem Gespräch schmerzlich klar.
Hier konnte ich mit niemandem so herumalbern.
Geschweige denn, dass ich mich nach einem kurzen Gespräch mit einem der Anwesenden besser fühlen würde.
Ich war immer nur Achims kleiner Bruder gewesen und von dessen Clique geduldet worden, aber nie akzeptiert. Und dies auch nur aus einem Grund; keiner wollte es sich mit dem großen Achim verscherzen.
Daher schleppte man mich mit, obwohl keiner mit mir – oder ich mit ihnen – etwas anfangen konnte. Ich hatte nie das Gleiche unter Spaß verstanden wie die anderen Jugendlichen in unserm Dorf, die auf ihren Mofas herum bretterten, sich Bier besorgten und am Wochenende testeten, wer am meisten vertrug. Zudem war ich nie jemand gewesen, der durch die Umgebung streunte, den großen Macker markierte und sich erst dann toll fand, wenn er sich geprügelt hatte.
Nein, ich war zu ruhig, interessierte mich für Themen, mit denen die Anderen nichts anfangen konnten. Bücher las man notgedrungen für die Schule, aber nicht in der Freizeit. Das war komisch. Wenn es jedoch darum ging, ihre PCs fit zu machen, war ich plötzlich gut genug. Ansonsten nur der introvertierte Freak, den man heimlich auslachte.
Daher hätte wohl allein meine Grundschulzeit anders ausgesehen, wäre da nicht Achims Schatten gewesen, der mich paradoxerweise beschützte. Sonst zwang er mich eher in eine Rolle, der ich nicht entsprach und es nie tun würde.
Bereits mit dreizehn merkte ich, dass sie recht hatten und mit mir etwas ganz und gar nicht stimmte.
Zu der Zeit ging ich schon auf das Gymnasium in der Nachbarstadt. Wodurch ich noch mehr zum Sonderling wurde, denn die Anderen aus dem Dorf tummelten sich eher auf der ortsansässigen Real- und Hauptschule.
Im Sportunterricht wurde mir allmählich klar, dass ich lieber die anderen Jungs, statt der Mädchen beobachtete. Als ich mich dann in einen Schüler, drei Klassen über mir, verknallte, war es klar. Diese Schwärmerei führte zu nichts, außer, dass ich tierische Angst bekam, und zwar vor mir selbst.
Es durfte eben nicht sein, was für meinen Bruder nicht sein durfte.
Dachte ich an meine Kindheit zurück, sah ich einen kleinen Jungen, der ständig Angst vor der Person hatte, die eigentlich sein Vorbild hätte sein sollen und dessen Erwartungen er in keinster Weise entsprach.
Da hätte er genauso gut eine Schwester haben können, hatte Achim mir nicht bloß einmal gesagt. Es fehlte nur noch, dass ich mit Barbies spielte. Er wusste, dass er mich damit verletzte, was ihn jedoch nicht davon abhielt. Und obwohl er stets ein Ekel zu mir gewesen war, wollte ich lange Zeit nichts mehr, als dass er mich mochte.
Deswegen und um keinen noch größeren Keil zwischen uns zu treiben, versuchte ich gegen meine Gefühle und Wünsche anzugehen. Ließ mich ab und an von ihm verkuppeln, auch wenn nie mehr passierte als knutschen und fummeln. Bis zu meinem siebzehnten Geburtstag zumindest.
Was schadete es schon, es einmal zu versuchen und vielleicht gefiel es mir ja sogar. Dachte ich zumindest, denn ich irrte mich, es gefiel mir nicht. Es war schrecklich und anstatt die Erleuchtung in Sachen Frauen zu sein, auf die ich insgeheim gehofft hatte, machte es mir etwas anderes deutlich. Ich würde nie der Bruder sein, den Achim aus mir machen wollte.
Mit Bjorn und seiner Clique war es anders. Sie kabbelten sich untereinander, wurden aber niemals verletzend oder bösartig. Wenn ich mit den Jungs kickte, brauchte ich keine Angst vor gemeinen Fouls zu haben, oder dass mich jemand absichtlich, wie den letzten Idioten dastehen ließ.
Bei unserem ersten Treffen hatte ich dennoch genau dies kurz gedacht, aber schnell gemerkt, dass ich da falsch lag. Was ich ebenfalls Bjorn zu verdanken hatte.
Er hatte mich verändert, machte mich mutiger. Bereits damals, als Elias mir seinen Spruch reindrückte, um mich zu testen, wie mir später klar wurde. Doch ich wollte nicht klein beigeben, nicht vor Bjorn, was ich damals nicht so wirklich verstand. Als ich aber den Respekt und das Lachen in seinen Augen sah, noch bevor er losprustete, war das ein unglaublich gutes Gefühl gewesen und meine anfängliche Unsicherheit verschwand immer mehr.
Wir waren gleichberechtigt, keiner hatte Angst, dass der andere ihn
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