Neumond: Kriminalroman (German Edition)
unterscheiden, und was ein Almradler ist, hab’ ich ihm auch erst erklären müssen.«
»Na gut, dann fasse ich mich kurz.« Das war auch ganz in Morells Sinne, denn seine Füße waren nass und kalt, und er konnte es nicht erwarten, frische Socken und trockene Schuhe anzuziehen. »Haben Sie ein Schneemobil?«
Da hatte er wohl ein Reizwort ausgesprochen, denn der Senior lief knallrot an. »Einen Dreck hab’ ich. Das neue hat mein Herr Sohn mitgenommen, und das alte ist nicht mehr als ein Stück Schrott.«
»Kann ich das mal sehen?«
Rainer verdrehte die Augen. »Sie geben ja doch keine Ruhe. Also kommen Sie mit. Es steht unten im Keller.«
Morell folgte ihm durch einen staubigen Flur bis zu einer alten Holztür.
»Achtung, die Stufen sind rutschig.« Rainer öffnete die Tür und betätigte einen Lichtschalter, der eine nackte Glühbirne zum Leuchten brachte.
Morell stieg die Stufen hinunter und fand sich in einem niedrigen, feuchtkalten Raum wieder, der ein tolles mittelalterliches Verlies abgegeben hätte. In diesem Fall diente er dem Hexenkessel aber wohl als Lager und Rumpelkammer. Der Boden und die Wände sahen so aus, als würden sie aus rohem Gestein bestehen, und überall standen Regale, die voller Flaschen und Konserven waren. Als Morell mit seinem Kopf versehentlich an die Glühbirne stieß, begann diese hin und her zu wackeln und erzeugte damit ein unruhiges Spiel von Licht und Schatten.
»Da hinten.« Rainer zeigte auf eine hintere Ecke. »Das Teil ist völlig hinüber. Der Depp hat es anscheinend um einen Baum gewickelt.«
»Wissen Sie, wann das passiert ist?« Morell stieg über ein paar Kisten und begutachtete das Wrack, was bei den Lichtverhältnissen gar nicht so einfach war.
»Keine Ahnung. Mein Sohn war immer schon gut darin, Mist zu bauen und es dann vor mir zu verheimlichen.« Er nahm einen leeren Karton und fing an, ihn mit Tetrapackungen zu füllen. »Glühwein ist bald alle.«
Morell, der schon beim Anblick von Tetrapack-Wein Kopfweh bekam, notierte sich innerlich, niemals Glühwein hier zu trinken. »Wenn ich mich nicht täusche, fehlt hier die Abdeckung vom Scheinwerfer.«
Rainer fing an zu lachen, unterbrach kurz seine Arbeit und stellte sich neben Morell. »Da fehlt auch ein Teil der Kufe, das Schutzblech und der Scheinwerfer selbst. Von den Kratzern und Dellen im Lack mag ich gar nicht erst anfangen. Keine Ahnung, wie er das Teil wieder hier hoch bekommen hat. Wenn er bei der Geschäftsführung genauso engagiert gewesen wäre, wie beim Vertuschen von seinem Bockmist, dann wären wir jetzt reich. War es das? Oder brauchen Sie noch etwas?«
Morell verneinte. »Vorerst wäre das alles.«
»Gut, dann zurück an die Arbeit.« Rainer drückte Morell zwei große Schnapsflaschen in die Hand, schnappte sich selbst den Karton und ging wieder nach oben.
»Kannten Sie zufällig eine Jutta Zöbich?«, fragte Morell und studierte die Etiketten der Flaschen in seinen Händen. Wie er bereits befürchtet hatte, handelte es sich um billigen Fusel, und er setzte Schnaps gleich unter Wein auf seine Hexenkessel-No-Go-Liste.
»Zöbich … Zöbich …«
»Blond, hübsch, vor 30 Jahren Krankenschwester im Sanatorium«, half Morell ihm auf die Sprünge.
»Ach ja. Jetzt weiß ich, wen Sie meinen. Der Weigl-Verschnitt. Was ist mit der?«
»Was meinen Sie mit Weigl-Verschnitt?«
»Sie wissen schon, die beiden waren ganz ähnliche Typen. Auch was die Kleidung anging: Immer schick und viel Schmuck und so. Ich glaube, das war auch ein Grund, warum ich die Weigl nicht mochte – weil sie mich so an die Zöbich erinnert hat.«
»Das erklären Sie mir jetzt bitte genauer.« Morell überholte Rainer und blockierte die Tür, die zum Gastraum führte.
»Die Zöbich hat allen Männern den Kopf verdreht, war aber eigentlich immer nur auf der Suche nach einem mit Kohle. Ich hab’ damals im St. Gröbner Hof gekellnert. Da hat sie am Abend oft aufgetakelt an der Bar gesessen und hat nach reichen Gästen Ausschau gehalten. So einen wie mich hat die nicht einmal mit dem Hintern angeschaut.«
»Und? Hatte sie Erfolg?«
»Anscheinend. Irgendwann hat sie einen gestopften Kerl soweit gebracht, dass er sie heiraten wollte.« Rainer versuchte, sich an Morell vorbeizudrängen. »Kann ich jetzt bitte endlich weiterarbeiten. Die Kiste wird langsam ganz schön schwer.«
»Gleich.« Morell überlegte. »Und Frau Weigl war auch so?«
»Keine Ahnung. Der Junior hat immer behauptet, dass sie nur auf die inneren
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