Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Wald? Und was wurde gestohlen?«
»Die Hand.«
Der völlig perplexe Danzer verstand nur Bahnhof. »Die Hand? Welche Hand?«
»Die fehlende Hand von der Frau aus der Bananenschachtel«, half Nina ihm auf die Sprünge. »Ich bin in den Bunker geklettert und habe die Knochen eingesammelt – die, die Sie vergessen haben.« Bei dem Wort ›vergessen‹ malte sie mit ihren Fingern Gänsefüßchen in die Luft. »Auf dem Rückweg wurden mir die Knochen dann gestohlen.«
»Fehlt Ihnen denn sonst noch was? Geld? Schmuck?«
Sie fasste sich an den Hals, wo an einer Kette das silberne Kreuz hing, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, und schüttelte den Kopf. »Nein, der Typ hatte es anscheinend nur auf die Knochen abgesehen.«
Danzer, dem langsam dämmerte, was der Vorfall zu bedeuten hatte, wurde ganz blass um die Nase. »Bitte erzählen Sie genau, was passiert ist«, bat er, obwohl er es, wenn er ehrlich war, lieber gar nicht wissen wollte.
Nina setzte sich, holte tief Luft und fing an zu erzählen.
»Es läuft also irgendjemand dort draußen in den Wäldern herum, der wahrscheinlich etwas mit dem alten Fall zu tun hat«, sagte Danzer, als sie geendet hatte, wobei ihm der Unmut über diese Erkenntnis ins Gesicht geschrieben stand. »Wahrscheinlich zwei Mordfälle in weniger als drei Tagen. Was mache ich denn jetzt?«
»Wie wäre es denn, wenn Sie als erstes mal herausfinden, wer die Tote aus dem Bunker überhaupt ist?«
Er bedachte sie mit einem ungläubigen Blick. »Das ist so viele Jahre her. Wie soll denn das gehen?«
Sie sah ein, dass sie so nicht weiterkam. Danzer war komplett überfordert – da musste wohl wirklich der arme Morell herhalten. Sie stand auf und verabschiedete sich.
›Irgendetwas stimmt dort draußen nicht‹, dachte sie, als sie ins Freie trat und die umliegenden Berge und Wälder betrachtete. Die heile Welt war nur Schein. Eine schöne Kulisse, erbaut für den Tourismus. Eine romantische Fassade, hinter der sich etwas Dunkles verbarg. Sie fröstelte und machte sich auf den Weg ins Hotel.
»Valerie und Leander kommen gleich«, sagte Morell, als er zum Abendessen in den Speisesaal kam, wo Nina bereits an einem Tisch saß. »Die beiden wollen noch schnell die Ski-Route für morgen planen.« Er machte sich nicht die Mühe, seine Unlust zu verbergen, schaute sich genervt um und wunderte sich über die Atmosphäre im Raum: Wie es schien, waren die Ameisenmenschen im Laufe des Tages endlich zur Ruhe gekommen. Müde von der Bewegung und völlig erledigt von der sauerstoffreichen Luft, redeten sie nicht laut und artikulierten nicht hektisch, sondern genossen entspannt ihr Essen. Leider würden sie nachher ins Bett gehen und im Laufe der Nacht eine Metamorphose durchwandern. Morgen früh würden sie, ganz wie Kafkas Gregor Samsa, wieder als Insekten erwachen und die Pisten stürmen.
»Wir müssen etwas unternehmen«, riss Nina ihn aus seinen Gedanken.
»Wie? Was?« Erst jetzt entdeckte er die Beule, die auf ihrer Stirn prangte. »Was ist denn da passiert?« Er beugte sich nach vorn und strich die Haare, die den Bluterguss überdeckten, zur Seite.
Sie erzählte ihm die ganze Geschichte und konnte dabei vor lauter Ärger kaum an sich halten.
»Um Gottes Willen, weißt du überhaupt, wie gefährlich deine Aktion war?« Morell starrte sie durchdringend an. »Wenn der Mann aus dem Wald tatsächlich etwas mit dem Mord zu tun hat, dann kannst du froh sein, dass du mit einer simplen Beule davongekommen bist.«
»Wir müssen den Kerl fassen!« Ninas Augen funkelten kampfeslustig. »Der Typ hat mich begrapscht und bestohlen.«
»Aber …«, setzte Morell an, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Nach dem Vorfall«, sie deutete auf ihre Beule, »war ich einen Sprung bei Danzer. Der gute Mann hat leider keine Ahnung von nichts. Wenn wir ihm die Sache überlassen, dann wird der Fall Weigl nie aufgeklärt werden, und die Tote aus dem Bunker wird weiterhin eine anonyme Nummer bleiben. Verstehst du?«
Morell musste ihr wohl oder übel recht geben.
Nina streckte ihm ihre rechte Hand entgegen. »Schlag ein«, forderte sie ihn auf. »Gleich morgen Nachmittag nach dem Skifahren fangen wir mit unseren Ermittlungen an.«
»
Nach
dem Skifahren? Warum nicht
anstatt
…«, setzte er an, kam jedoch nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, da Valerie an den Tisch getreten war.
»Na, du Sportskanone?!« Er quälte ein Lächeln auf seine Lippen, Valerie schaute ihn vergnügt an. »Du kannst dir gar
Weitere Kostenlose Bücher