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Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Neumond: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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»Was ist denn hier los?«
    »Diese Verrückte hat mir aufgelauert. Keine Ahnung was sie will. Helfen Sie mir«, zeterte die Alte.
    Nina zeigte auf den Boden. »Sie ist gerade aus dem Wald gekommen. Mit einem Spaten. Hast du eine Taschenlampe dabei?«
    »Moment.« Er holte eine Taschenlampe aus dem Auto und reichte sie ihr. »Glaubst du etwa, sie hat den kleinen Jungen …?« Er starrte Käthe Steinbichler an.
    »Was sollen diese verdammten Unterstellungen? Ich habe dem Kleinen überhaupt nichts angetan. Ganz im Gegenteil.« Sie versuchte, sich aus Ninas Griff zu winden.
    »Pass auf sie auf. Ich gehe nachsehen.« Nina schnappte sich den Spaten und leuchtete mit der Taschenlampe auf den Boden. Als sie Fußspuren im Schnee fand, folgte sie ihnen. »Ich hoffe für Sie, dass ich nicht das finde, was ich befürchte«, rief sie und verschwand hinter dem Haus. »Das hoffe ich für uns alle«, murmelte sie.
    »Alles klar bei dir, Nina?«, rief Leander wenig später. »Hast du schon was gefunden?«
    »Nein, ich folge noch den Spuren«, rief sie zurück. »Die Taschenlampe ist nicht sehr stark, darum tue ich mich ein bisschen schwer damit.« Sie hatte keine Ahnung, wie viele Tote sie im Laufe ihrer Karriere bereits gesehen hatte. Mehrere hundert auf jeden Fall. Unfallopfer, Mordopfer, natürliche Todesfälle, Ärztepfusch. Frauen, Männer, groß, klein, dick, dünn, in allen möglichen Stadien der Verwesung. Sie hatte Wasserleichen auf dem Tisch gehabt, mumifizierte Leichen und einmal sogar eine Fettwachsleiche. Mit all diesen Dingen konnte sie problemlos umgehen, denn sie gehörten in ihren Alltag wie das Semmerl in den des Bäckers. Es gab nur eine Sache, mit der sie nicht klarkam. Eine Sache, die sie nicht im Obduktionssaal lassen konnte, sobald sie die Tür hinter sich schloss. Eine Sache, die sie wirklich an ihrer Arbeit hasste – und das waren tote Kinder. Kleine Menschen, die vor ihrer Zeit gehen mussten und nichts als Trauer und Schmerz hinterließen. Und Leere. Unendliche Leere, die wie ein schwarzes Loch all die wunderbaren Dinge verschlang, die sie nie erleben würden, und all die Träume fraß, die sie nie würden träumen können.
    Nina stiegen die Tränen in die Augen, als in dem kleinen Lichtkegel der Taschenlampe braune Erde mitten im weißen Schnee auftauchte.
    »Ich habe etwas gefunden«, rief sie laut. »Hier ist gegraben worden.« Sie leuchtete die Stelle ab und stellte fest, dass diese recht klein war. Zu klein, um ein Kind in Patricks Größe zu verscharren.
    Erst war sie erleichtert, doch dann kam ihr in den Sinn, dass Steinbichler hier wahrscheinlich Spuren beseitigt hatte. Blutige Handtücher, die Tatwaffe oder ähnliches.
    »Brauchst du Hilfe? Soll ich Verstärkung rufen?«, fragte Leander.
    »Nicht graben!« Käthe Steinbichlers Stimme, gefolgt von lautem Schluchzen.
    »Natürlich willst du nicht, dass ich grabe, und darum grabe ich jetzt gerade extra«, murmelte Nina und stieß den Spaten in die Erde. Was auch immer die alte Frau verbergen wollte, es konnte nicht tief vergraben liegen, da der Boden gefroren war. Es musste sie immens viel Kraft gekostet haben, überhaupt nur ein paar Zentimeter auszuheben.
    Tatsächlich. Bereits nach kürzester Zeit stieß sie unter einer dünnen Schicht loser Erde auf einen mittelgroßen Plastikbeutel.
    Sie nahm ihn aus seinem kalten Grab, hielt die Luft an und schaute hinein.
    »Du meine Güte«, entfuhr es ihr. Sie hatte mit allem gerechnet – aber nicht damit.
     
    »Es tut mir so leid!« Nina wusste nicht, was sie sagen sollte. »Das ist mir ja alles so peinlich. Ich dachte, Sie hätten …« Sie reichte der Frau ein Taschentuch, damit diese sich schnäuzen konnte.
    »Was ist denn jetzt los? Jetzt kenne ich mich gar nicht mehr aus.« Leander schaute Nina fragend an.
    Diese reichte ihm wortlos den Plastiksack.
    »Oh«, sagte er nur, nachdem er einen kurzen Blick hineingeworfen hatte.
    Frau Steinbichler riss ihm den Sack aus der Hand. »Lassen Sie meine Minki endlich in Ruhe und mich auch.« Sie presste den Sack samt der toten Katze, die sich darin befand, an ihre Brust.
    »Es tut mir wirklich leid«, wiederholte Nina. »Lassen Sie mich Ihre Minki wieder begraben.«
    »Gehen Sie einfach, und kommen Sie nicht wieder her. Sie haben genug angerichtet.« Mit diesen Worten ging Käthe Steinbichler mit der toten Minki in ihr Haus und ließ den verdatterten Leander und die zutiefst beschämte Nina einfach stehen.

52
    »Haben Sie sich wehgetan?«
    Morell, der noch

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