Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
dass er dann mit mir zusammen sein will, weil er mich liebt. Aber das ist natürlich Schwachsinn. Niemand liebt mich. Nicht mal meine Eltern. Die schenken mir Sachen, kapierst du, Sachen. Hier …« Sie zog einen weiteren MP3-Player aus ihrer Weste, einen Nano mit blauem Gehäuse. »Kannst du mir vielleicht verraten, wofür man gleich zwei davon braucht? Ich meine, selbst ich habe nur ein Paar Ohren. Aber offenbar haben meine Eltern sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, mich richtig anzuschauen.«
Jolin stöhnte leise. Das alles war wirklich schlimm, aber im Augenblick nicht das Hauptproblem. »Er wird dich umbringen«, zischte sie.
Klarisse kicherte leise. »Ja, ganz ohne Zweifel, das wird er.«
»Mann, jetzt wach doch mal auf!« Jolin griff nach Klarisses Handgelenk und schob den Ärmel ihres Grobstrickpullis bis zum Ellenbogen hinauf. Die Wunde war nicht groß, vielleicht zwei Zentimeter lang und einen Millimeter breit, aber die Haut drum herum war dick geschwollen.
»Peanuts«, sagte Klarisse. »Das war nur sein Fingernagel. Aber das hier …«, sie stopfte den iPod-Nano in die Westentasche zurück, zerrte ihren Rollkragen herunter und zeigte auf eine weitere Wunde an ihrem Hals, »… das ist richtig geil.«
»Geil?« Jolin schüttelte den Kopf. »Sag mal, spinnst du! Das ist ein Biss! Er hat sein Gift in dein Blut gespritzt.«
Klarisse lächelte verträumt. »Ja, das hat er. Und es war geil … so was von geiiil.«
»Du wirst davon verrückt werden«, sagte Jolin, »und am Ende bist du so wie er … oder tot.«
Klarisse nickte. »Ja«, seufzte sie selig.
Jolin stieß den Arm von sich weg. »Du denkst doch nicht etwa, dass du dann mit ihm zusammen sein kannst.«
»Nein …« Klarisses Blick wurde wieder abwesend, während sie zärtlich über den iPod-Touch strich. »Vincent wird sich in einen Menschen verwandeln … früher oder später … Rouben allerdings …« Sie brach ab und biss sich erschrocken auf die Lippen.
Jolin spürte einen leichten Ekel in sich aufsteigen. »Du willst ihn also immer noch«, sagte sie fassungslos.
»Ja … Nein!« Klarisse machte ein erschrockenes Gesicht. »Ich meine, ich würde nie …«, fing sie an zu stammeln, »aber sieh es doch mal so … Rouben gehört nicht in unsere Welt. Er hat sich diesen Platz doch nur erobert, weil seine Mutter …«
»Du glaubst also, was dieser widerliche Vampir dir erzählt!«
»Nicht alles … Das allerdings schon.« Klarisse zuckte mit den Schultern. »Du brauchst dir Rouben doch nur anzusehen …«
»Ich liebe ihn aber, Klarisse«, sagte Jolin. »Ganz egal, was er ist. Ich werde ihn immer lieben.«
»Das verstehe ich, aber es ist dumm«, erwiderte Klarisse. »Außerdem … sooo groß ist der Unterschied doch gar nicht mehr … zwischen Rouben und ihm … es würde mich nicht wundern, wenn du es nicht einmal merkst.«
Jolin starrte ihre Stufenkameradin an. Sie begriff nicht, wie Klarisse so etwas auch nur denken konnte. Es musste an dem Gift liegen.
»Jetzt guck doch nicht so!«, rief Klarisse lachend. Sie drückte Jolin den iPod-Touch in die Hand und machte Anstalten, ihr die Kopfhörer in die Ohren zu stecken. »Hier nimm! Ich brauch den sowieso nicht. Und dieser Song ist echt der Hammer. Du hörst ihn und denkst an Rouben … und alles ist der helle Wahnsinn.«
»Klarisse …« Jolin wollte widersprechen, den iPod zurückgeben, auch wenn die Freundin zwei dieser Dinger besaß, sie konnte ihn unmöglich behalten, außerdem wollte sie sie davon überzeugen, dass sie sich von Vincent fernhalten musste und sich auf keinen Fall darauf verlassen durfte, dass sie ein Leben – ein Leben, ts! – als Untote weiterführen könnte. Vincent war absolut unberechenbar. Niemand konnte sich in sein krankes Gehirn hineindenken, nicht einmal Rouben, der ihm ja wirklich immer ähnlicher wurde. Doch noch ehe Jolin den Mund geöffnet und ihre Hand nach Klarisse ausgestreckt hatte, war diese bereits verschwunden.
Paula Johansson schien wie ein Geier neben der Wohnungstür gehockt und auf sie gewartet zu haben, denn sie sprang sofort auf Jolin zu, als die in die Diele trat, packte sie am Arm und hob die Hand, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen, besann sich im letzten Augenblick dann aber doch eines Besseren. »Was fällt dir ein, die ganze Nacht wegzubleiben!«, schnauzte sie ihre Tochter an. Ihre rotgeheulten Augen flackerten, und ihr hübsches Gesicht war zu einer wütenden, verzweifelten Fratze verzerrt.
»Kannst du
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