Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
hundertprozentig sicher. Und trotzdem: Die letzten Herbstwochen, in denen unter den Mädchen in ihrer Stufe ein regelrechter Wettstreit um ihn entfacht war, saßen ihr immer noch in den Knochen.
»Du glaubst gar nicht, wie engagiert sie ist«, erzählte Rouben, und sein Blick sprühte vor Begeisterung.
»Ha! Du wirst es nicht glauben, aber ich weiß es sogar«, erwiderte Jolin spitz. »Früher wollte Anna mal Tierfilmerin werden und …«
»Mhm, das will sie immer noch.«
Der Stich wanderte tiefer. »Du weißt ja gut Bescheid«, presste sie hervor.
»Ja, ich habe viel Zeit mit Anna verbracht«, sagte Rouben leichthin.
Jolin bekam keine Luft mehr. Stocksteif stakste sie in seinem Arm neben ihm her auf den Englischraum zu. Sie waren wahrscheinlich spät dran, die Tür stand zwar noch offen, aber es war niemand mehr auf dem Gang zu sehen.
»Man kann sich wirklich toll mit ihr unterhalten«, fuhr Rouben fort. »Du kannst dich freuen, dass sie deine Freundin ist.«
»Hey, was soll das?«, knurrte Jolin. »Warum machst du auf einmal solche Werbung für Anna?«
»Na jaaa …« Rouben stoppte und setzte eine ernste Miene auf. »Ich muss dir etwas gestehen …«
Jolin starrte ihn an. Sie hatte das Gefühl, als ob sich der Boden und die Wände von ihr entfernten, doch einen Augenblick später hatte sie sich bereits wieder im Griff. Warum – zum Teufel! – ließ sie es immer wieder zu, dass er sie derartig aus der Fassung bringen konnte? Sechs Wochen war er nun schon fast täglich mit Anna, Klarisse und den anderen Mädchen hier in der Schule zusammengetroffen und bisher hatte sie nicht eine Sekunde auch nur den Anflug von Eifersucht in ihrem Herzen gespürt, da musste sie ja wohl nicht ausgerechnet heute damit anfangen!
»Wipo liegt Freitag in der siebten und achten Stunde«, hörte sie Rouben sagen.
»Ja und?«
»Na ja«, druckste er. »Ich hab nicht drüber nachgedacht … Es ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich nur bis mittags Unterricht habe. Noch dazu vor dem Wochenende, an dem man so richtig viel schaffen kann.«
Jolin legte ihre Stirn in Falten. Sie konnte ihm nicht ganz folgen.
»Ach, du meinst wegen deiner Bauerei am Haus«, platzte sie schließlich heraus.
»Bauerei« , brummte Rouben. »Du hast wirklich keine Ahnung, wie zeitaufwendig das ist.«
»Entschuldige«, sagte Jolin. »Von außen ist ja nun wirklich noch nicht viel zu sehen. Das Dach ist noch immer kaputt … und von innen willst du es mir ja leider nicht zeigen.«
»Nein. Und dabei bleibt es auch«, sagte Rouben entschieden. »Ich will nicht, dass du einfach hineingehst … Ich möchte dich über die Schwelle tragen, und zwar erst dann, wenn es fertig ist.« Er wandte den Blick ab, und plötzlich überschattete ein noch ernsterer, beinahe ängstlicher Ausdruck sein Gesicht.
»Was ist los?«, wisperte Jolin erschrocken. »Was hast du?«
»N-nichts.« Rouben zwang sich zu einem Lächeln. »Ich wünschte nur, es wäre schon so weit.«
»Ich auch, das kannst du mir glauben.« Es platzte aus ihr heraus, wie etwas, das aus den tiefsten Tiefen ihrer Seele kam und nur auf diese Gelegenheit gewartet hatte. Und es hatte nicht einmal so sehr mit Paula zu tun, zu der Jolin sich dringend ein wenig mehr Abstand wünschte, oder mit ihrer Sehnsucht nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht mit Rouben, sondern vielmehr mit dem Gefühl, dass es noch etwas anderes gab, das ihrem Einzug in dieses Haus im Wege stand. Und zwar etwas Undefinierbares, Unlogisches, das auf eine unerklärliche Weise jedoch immer greifbarer wurde und in Jolin eine diffuse Angst entfachte.
Sie wollte es gerade ansprechen, da ertönte die Schulglocke. Aus dem Englischraum waren plötzlich laute Stimmen zu hören, und einen Augenblick später traten Anna und Rebekka auf den Gang heraus.
»Bist du ganz sicher, dass sie heute …?«, fragte Rebekka. »Oh, da ist sie ja!«
»Siehst du, so schnell wird man zur Nebensache«, raunte Rouben Jolin ins Ohr und machte hastig einen Schritt zur Seite, damit Anna und Rebekka ihr ungehindert um den Hals fallen konnten.
»Mensch, wieso kommst du denn erst jetzt?«, rief Anna und küsste Jolin inbrünstig auf beide Wangen.
»Tut mir leid, aber ich bin unschuldig«, sagte Jolin und deutete auf Rouben. »Wir sind mit seinem Auto gefahren.«
»Ja und?«, wunderte sich Rebekka.
»Na ja, Rouben hat ja noch nicht so wahnsinnig viel Fahrpraxis«, meinte Jolin. Sie bedachte ihn mit einem Augenzwinkern und wandte sich
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