Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
Vielleicht gab es Neuigkeiten von Carina, vielleicht war alles ja nur halb so schlimm.
Als Jolin aus dem Badezimmer in den Flur trat, verabschiedete Gunnar sich gerade von seiner Frau. Er umarmte Paula zärtlich und winkte Jolin kurz zu, bevor er aus der Wohnungstür schlüpfte. »Tschüs, mein Schatz.«
Er verzichtete offenbar ganz bewusst darauf, ihr einen Kuss zu geben. Jolin war nicht böse, sie konnte sich denken, warum.
»Ich hab dir Milch warm gemacht«, sagte Paula. »Ich hoffe, es ist okay.«
»Danke.« Jolin folgte ihr in die Küche und setzte sich auf ihren Stuhl.
Ihre Mutter goss sich Kaffee nach, umschloss die Tasse mit beiden Händen und pustete in den Milchschaum. »Schlimm, wenn ich mich noch ein wenig hinlege und lese?«, fragte sie.
Jolin, die gerade nach ihrem Becher greifen wollte, hielt in ihrer Bewegung inne. Völlig egal, was sie jetzt antwortete, es konnte nur falsch sein.
»Weißt du, ich habe festgestellt, dass es mir guttut, wenn ich morgens nicht immer gleich parat stehen muss.«
Jolin nickte. »Ja, klar«, sagte sie. »Das ist in Ordnung. Du brauchst auf mich keine Rücksicht zu nehmen.«
Paula nickte ebenfalls. »Du bist ja auch ganz gerne für dich.«
Jolin fixierte ihren Becher. Sie atmete langsam aus und versuchte sich zu entspannen. »Was liest du denn gerade?«, fragte sie.
»Ein Kochbuch«, sagte Paula.
Sie sahen sich an und prusteten los. Der Milchkaffee in Paulas Tasse wogte heftig hin und her und schwappte schließlich über den Rand.
»Pass auf, du verbrennst dich noch!«, rief Jolin.
»Nein, nein, keine Sorge, die Milch war gar nicht mehr richtig heiß.«
Ihre Mutter setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
»Die Wahrheit ist: Ich lese diesen neuen Roman von Sybille Berg, der mittlerweile schon gar nicht mehr sooo neu ist.«
»Ach, der mit dem schlafenden Mann«, erwiderte Jolin. »Ist der nicht schrecklich frustrierend?«
Paula nickte. Sie strich sich die weichen braunen Locken hinters Ohr und schaute mit übertrieben gerunzelter Stirn in ihre Tasse. »Ja, das ist er.«
»Ma, du bist so irrsinnig komisch«, sagte Jolin. »So warst du früher nicht.«
»Du hast schließlich nicht das alleinige Recht, dich zu verändern«, sagte Paula grinsend. »Nein, aber mal im Ernst«, fuhr sie fort. »Dieses überaus frustrierende Buch hat mich dazu gebracht, ein paar Dinge ein wenig lockerer zu sehen. Ehrlich gesagt, weiß ich inzwischen gar nicht mehr so richtig, was in mich gefahren war.«
»Ich nehme an, du hast dir Sorgen um mich gemacht«, sagte Jolin. »Zu viele und über einen zu langen Zeitraum hinweg.«
Ihre Mutter nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. Der Milchschaum hinterließ einen schmalen Bart über ihrer Oberlippe. »Ehrlich gesagt, mache ich mir im Moment viel mehr Sorgen um dich als zu der Zeit, als du noch den Gips hattest«, sagte sie mit angespannter Miene.
»Tut mir leid«, kicherte Jolin, »aber mit diesem Schnäuzer da kann ich dich einfach nicht ernst nehmen.«
Paula hob die Augenbrauen und wischte sich schließlich mit dem Handrücken über den Mund. »Besser?«
»Viel besser.«
»Okay, also …« Paulas Hände flogen gestikulierend in der Luft herum, so wie immer, wenn sie sich mit dem, was sie ihrem Gegenüber sagen wollte, schwertat, »… es ist, wie du dir vielleicht denken kannst, wegen Rouben. Ich mag ihn wirklich, und ich verstehe dich auch sehr, sehr gut …«
»Maha«, unterbrach Jolin sie. »Ma, ich weiß selbst, dass ich viel zu sehr in ihn verliebt bin. Aber er wird mir nicht weh tun.«
»Hmm.« Paula nickte. »Viel wichtiger finde ich allerdings, dass du dir nicht selbst weh tust.«
Es ist zumindest der Ansatz eines guten Gesprächs gewesen, versuchte Jolin sich einzureden, während sie durchs Treppenhaus eilte und auf den Bürgersteig hinaustrat. Ein kurzer Blick auf die in unmittelbarer Nähe parkenden Autos, und ihr war sofort klar, dass Rouben sie heute nicht abholen würde. Sie versuchte den Stich in ihrer Brust zu ignorieren und lief weiter in Richtung U-Bahn-Station. Es war immerhin möglich, dass er woanders auf sie wartete. Und wenn nicht, fuhr sie genauso gern mit Anna in der Bahn. Rouben hatte ihr schließlich nichts versprochen. Im Gegenteil, es war ihre eigene Schuld, wenn sie sich Hoffnungen machte. Und mit einem Mal wusste sie, wie sie Paulas letzte Bemerkung zu verstehen hatte.
Es ist mehr als nur der Ansatz eines guten Gesprächs gewesen, dachte sie, es war ein gutes Gespräch. Ihre Mutter und sie
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