Neun Tage Koenigin
Angst.“
Darauf sagte meine Schwester nichts mehr.
„Und außerdem“, fuhr ich fort, „werde ich wieder studieren, und für den Herbst plane ich eine Reise nach Nova Scotia.
Da wollte ich schon immer mal hin. Ich werde sehr viel damit zu tun haben zu lernen, ich selbst zu sein, und ich werde Brad nicht fragen, wann er wieder nach Hause kommt.“
Als ich „nach Hause“ sagte, ging mir ein ziemlich helles Licht auf. Ich konnte nicht fassen, dass ich das nicht schon vorher erkannt hatte.
„Nach Hause“ wäre für Brad nicht Manhattan.
Wenn wir unsere Ehe neu erfinden wollten, dann war wahrscheinlich ich diejenige, die ihre Sachen packen musste.
Um nach New Hampshire zu ziehen.
Vierunddreißig
Die Umsetzung meines Plans, für jemanden da zu sein, der gar nicht da war, erwies sich als schwieriger, als ich gedacht hatte. Das erste Mal rief ich Brad drei Tage nach meinem Telefonat mit Leslie an. Er ging an sein Handy, sprach freundlich mit mir, beantwortete meine Fragen, wie es ihm gehe, wie seine Arbeit liefe, ob er angeln gewesen sei, ob er es am Wochenende geschafft habe, zu Connors Leichtathletikwettkampf zu gehen. Als wir etwa zehn Minuten miteinander geplaudert hatten, fragte er mich, ob ich etwas bräuchte. Ich glaube, es warf ihn richtig aus der Bahn, als ich sagte, ich riefe nur an, um zu fragen, wie es ihm gehe. Dann erzählte ich ihm, dass ich gerade dabei sei, mich über Masterstudiengänge zu informieren, weil ich vorhätte, noch meinen Abschluss in Geschichte zu machen. Er wurde ganz still, als ich anfing, über mich zu reden. Ich glaube, er hatte sich eher gewünscht, dass ich wütend auf ihn wäre. Dr. Kirtland hatte mir gesagt, es könne durchaus sein, dass Brad emotional noch gar nicht bereit sei, sich von mir verzeihen zu lassen; dass er sich dadurch vielleicht nicht besser, sondern eher schlechter fühlen würde und deshalb lieber den Abstand, der zwischen uns herrschte, aufrechterhalten wolle. Schuldgefühle seien für den „Täter“ oft besser auszuhalten, wenn er wütend sein könne. Es sei gut möglich, dass ein Friedensanbot meinerseits sein inneres Gleichgewicht bedrohe.
Als ich Brad das zweite Mal anrief, um ein wenig zu plaudern, bereitete ich mich darauf vor, indem ich eine Themenliste erstellte, um das Gespräch in Gang zu halten. Ob er wisse, dass im Fernsehen ein biografischer Film über Wilhelm Conrad Röntgen zu sehen sein würde? Ob er das einfache Rezept für Rouladen haben wolle, das ich entdeckt hätte? Ob er schon gehört hätte, dass unsere Freunde Noel und Kate ihr erstes Enkelkind erwarteten?
Während wir uns unterhielten, schien er sich irgendwie zu entspannen, aber ich spürte immer noch so etwas wie Unbehagen bei ihm. Bei meinem dritten Anruf erzählte ich ihm, dass ich die Bücher über Lady Jane Grey gelesen hätte, weil ich davon überzeugt sei – und zwar aus reiner Sentimentalität –, dass der Ring, den er bei meinem Besuch in New Hampshire an meinem Finger entdeckt hatte, Lady Janes Verlobungsring sei. Er hörte sich meine Geschichte an, wie ich den Ring gefunden hatte, dass mein Name eingraviert sei und dann Janes Lebensgeschichte.
„Und warum glaubst du, dass es ihrer gewesen ist?“, fragte er nicht unfreundlich.
„Dafür gibt es eigentlich keinen richtigen Grund. Ich glaube es eben einfach. Es ist ein wunderschöner Ring. Wer ihn gekauft hat, muss eine Menge Geld gehabt haben. Der Ring stammt aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts – also aus der Zeit, in der Lady Jane Grey gelebt hat. Und ihr Vorname ist eingraviert.“
„Kann er nicht auch einer anderen Frau gehört haben, die Jane hieß?“
„Doch“, hatte ich erwidert. „Doch, das ist durchaus möglich.“
„Aber du glaubst es nicht?“
„Ich möchte eigentlich, dass es ihrer gewesen ist.“
„Und warum?“
Es dauerte ein Weilchen, bis ich eine Antwort für ihn zusammengebastelt hatte. Es war das erste Mal, dass er mich etwas fragte, das mit meinem Fühlen zu tun hatte.
„Ich würde gerne glauben, dass es jemanden gegeben hat, der sie geliebt hat, obwohl ihr die Chance verweigert wurde, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden. Jemand Unbekanntes, jemand, der nicht in den Geschichtsbüchern erwähnt wird. Und dass sie diese Person ebenfalls geliebt hat und dass der Ring und ihre Liebe geheim bleiben mussten, weil diese Beziehung eben nicht sein durfte.“
„Klingt wie im Märchen.“
Ich lachte. „Ich mag Märchen.“
Und obwohl es mir schon auf der Zunge lag,
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