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Neun Tage Koenigin

Neun Tage Koenigin

Titel: Neun Tage Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Meissner
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gehabt, etwas zu lesen, das nicht an mich gerichtet war, aber ich hatte tatsächlich den Namen der Unterschrift – Edward – erkannt und die Zeile darüber lesen können. Ich zögerte.
    „Ich werde auch bestimmt nicht böse sein“, sagte sie ganz ernst. „Der Lord Admiral war gerade bei mir in meinem Salon, als ich die Truhe geöffnet habe. Er hat den Brief gesehen, bevor ich ihn entdeckt hatte. War er von meiner Mutter?“
    Schwang da Furcht oder Hoffnung in ihrer Stimme mit? Ich konnte es nicht sagen.
    „Bitte sag es mir“, flüsterte sie.
    „Er war nicht von Eurer Mutter, Mylady.“
    Ihre Schultern schienen sich ein wenig zu entspannen, vielleicht sackten sie aber auch einfach nur nach unten. „Von wem war er, Lucy?“
    „Von … vom jungen Edward Seymour, Mylady. Er und seine Mutter, die Herzogin, waren gerade zu Besuch auf Bradgate, als ich abgereist bin.“
    „Edward …“, hauchte sie.
    „Ja.“
    Sie schaute an mir vorbei zu den dunklen Fenstern, die so hoch waren wie der Gang, auf dem wir standen.
    „Edward“, sagte sie langsam. Ihr Tagtraum schien sehr persönlicher Natur zu sein. Ich konnte nicht sagen, was sie über den Besuch des Sohnes des Lordprotektors in Bradgate wusste. Gerede unter den Bediensteten war eben nur Gerede. Und ich konnte nicht einschätzen, was sie von einer Verlobung mit dem Neffen des Lord Admirals oder mit sonst jemandem hielt.
    „Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet, Mylady.“ Ich knickste und entfernte mich einen Schritt, aber sie streckte ihren dünnen Arm aus und berührte mich am Ellbogen.
    „Warte noch. Hast du den Brief gelesen?“
    „Nein, ganz gewiss nicht, Mylady.“
    „Ich meine nicht während der Fahrt hierher, sondern gerade eben, als er mit dem Brief vor dir stand. Konntest du irgendetwas entziffern?“
    Ich musste schlucken. Unbehagen lag in ihrer jungen Stimme. „Bitte!“
    „Edward Seymour bekundet Euch sein tiefstes Mitgefühl, Mylady.“
    Sie nickte. „Das hast du gesehen? Ist das alles, was du gesehen hast?
    „Ja, Mylady.“
    Jane ließ meinen Arm los und atmete aus. „Danke, Lucy.“ Dann drehte sie sich um und ging zurück in ihr Zimmer.
    Und ich in meines.
    Erst als ich ins Bett ging, nachdem ich meinen Eltern geschrieben hatte, wurde mir klar, dass der Admiral mich belogen hatte. Er hatte gesagt, der Brief von Edward hätte Lady Jane beunruhigt, dabei hatte sie ihn noch gar nicht gesehen.

Neun
    Das Begräbnis von Katherine Parr, der Königinwitwe, fand am Freitag, dem 8. September, in der Kapelle von Sudeley Castle statt. Lady Jane, die das Kleid trug, welches ich für sie abgeändert hatte, führte den Trauerzug hinter dem Sarg der Königin an, der von sechs Männern in Kapuzenumhängen getragen wurde.
    Ich trug die Schleppe von Mylady.
    Es war die erste protestantische Beerdigung, an der ich teilnahm. Die anglikanische Kirche war 1534 von König Heinrich VIII. gegründet worden, damit er sich von seiner ersten Frau, Katharina von Aragón, scheiden lassen und Anne Boleyn heiraten konnte. Dr. Miles Coverdale, ein Vertreter der protestantischen Lehre, leitete die Trauerfeier. Rom wurde kein einziges Mal erwähnt, und es fiel auch kein einziges lateinisches Wort. Es wurde gesungen, es wurden Psalmen gelesen, aber wenn ich ehrlich bin, so hatte ich nur Augen für Mylady, deren Trauer größer zu sein schien als ihre winzige Gestalt in dem riesigen zeltartigen Kleid. Als der Leichnam der Königin in die Erde gesenkt wurde, sang der Chor das Te Deum auf Englisch. Ich hatte den Text noch nie zuvor in meiner Muttersprache gehört und fand es wunderschön, aber meine Herrin zitterte derart, als der Sarg vor unseren Augen verschwand, dass ich nicht weiß, ob sie die Worte überhaupt gehört hatte.
    Mir kam es so vor, als sei die Trauerfeier schon wieder vorbei, kaum, dass sie begonnen hatte. Die Trauergäste stiegen danach sofort wieder in ihre Kutschen und eilten davon, bevor die Sonne auch nur den höchsten Punkt am Spätsommerhimmel erreicht hatte. Ich begleitete Mylady zurück auf ihr Zimmer und half ihr, das flüsternde Trauergewand wieder abzulegen. Sie bat mich, es bitte an einen Ort zu bringen, an dem sie es nicht zu sehen brauchte.
    Nan Hargrave war am Abend zuvor mit dem Lord Admiral nach Chelsea aufgebrochen, und die Bediensteten der verstorbenen Königinwitwe hatten sofort nach dem Mittagessen ihre Sachen gepackt. Daher waren die übellaunige Miss Alice und ich auch allein in der Garderobe, als es Nachmittag wurde. Miss

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