Neun Tage Koenigin
Schimmel.
Der Geruch von Kummer und Reue.
In meiner Kindheit und Jugend hatte ich nichts mit Antiquitäten zu tun, denn meine Mutter mochte keine alten Sachen. Alles in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, war modern. In dem Augenblick, in dem die Einrichtung anfing, sich altmodisch anzufühlen, erfand meine Mutter das Haus neu. Neue Möbel, neue Wandfarben, neue Vorhänge, neue Bilder an den Wänden, immer in passenden Farben und sehr trendig. Als Innenausstatterin konnte sie meinem Vater die ständigen Veränderungen zufriedenstellend erklären, meistens jedenfalls. Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, dass es nicht funktionierte. Das war, als mein Vater eines Abends nach einem langen Arbeitstag in der Klinik nach Hause kam und meine Mutter seinen Lieblingssessel durch einen klobigen Angebersessel ersetzt hatte. Da platzte ihm der Kragen. An jenem Abend gab es Streit. Heftig und lange. Leslie und ich versteckten uns in Leslies Zimmer und spielten ein Würfelspiel, während meine Eltern über den Sessel stritten.
Am Ende bekam meine Mutter dann doch wieder ihren Willen. Ich weiß auch nicht, wie sie es schaffte, aber irgendwie überzeugte sie meinen Vater davon, dass der neue Sessel besser sei als der alte, sodass der neue Sessel blieb. Für ein paar Jahre jedenfalls.
Meine Faszination für alte Sachen begann im Sommer des Jahres, als ich zwölf war. Damals hatte mich Thea, die Tante meiner Mutter, für zehn Tage zu sich nach Manhattan eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt führte sie schon seit ein paar Jahren den Antiquitätenladen, den sie eröffnet hatte, nachdem ihr englischer Ehemann gestorben war und sie als relativ wohlhabende Frau wieder nach Amerika zurückgekehrt war. Thea hatte keine Kinder, und meine Mutter war ihre einzige noch lebende Verwandte.
In jenem Sommer hatte Thea mich hinten im Laden und im Lager herumstöbern lassen, hatte mich auf ihre Einkaufstouren mitgenommen und mir immer wieder erklärt, dass jedes Ausstellungsstück im „Amsterdam Avenue Antiquitäten“ Teil der Vergangenheit eines Menschen war – jedes Teil hätte Geschichten erzählen können, wenn es denn hätte reden können. Ich fand es faszinierend, dass der Nachlass eines Menschen den Weg in die Gegenwart eines anderen Menschen finden und dadurch noch einmal ganz neu anfangen konnte. Ich glaube, es gefiel Thea, dass ich mich für die Dinge interessierte, die ihr am Herzen lagen. Im darauffolgenden Sommer verbrachte ich wieder eine Woche bei ihr.
Während meiner Highschoolzeit arbeitete ich dann an den Wochenenden bei einem Ehepaar, das in der Nähe meines Elternhauses auf Long Island einen Laden für antiken Schmuck besaß. David und Lila Longmont waren ein seltsames Paar. Sie konnten nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander. Wenn einer von beiden einmal nicht im Laden war, selbst wenn es nur für ein paar Minuten war, dann schien der andere völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten. David war ein ausgewiesener Fachmann für alte Edelsteine und Fassungen, und das wusste er auch. Und Lila, die fast nie ein freundliches Wort für David hatte, verteidigte seinen Sachverstand zweifelnden Kunden gegenüber auf fast grimmige Weise. Mir gefiel die Vorstellung, dass jedes Stück in ihrem Laden – jede Halskette, jede Brosche und jeder Ring – schon einmal von jemandem getragen worden war. An Sonntagen, an denen im Laden nicht viel los war, dachte ich mir oft Geschichten über die ehemaligen Besitzer der einzelnen Stücke aus. Und ich stellte mir vor, dass Thea das auch tat.
Sehr viel später, als Connor noch ein Baby war und ich nicht länger unterrichtete, damit ich mich um ihn kümmern konnte, lebte meine Faszination für alte Sachen wieder auf. Damals lebten wir in Connecticut. Brad machte seine Facharztausbildung, sodass Connor und ich viel allein waren. Oft spazierten wir dann durch die Straßen und guckten Schaufenster an. Es ist unmöglich, in Neuengland zu leben und nicht eine intensive Verbindung zur Vergangenheit zu spüren. Das geht selbst meiner Mutter so, auch wenn sie keine Antiquitäten mag. Ich fing an, hier und da ein paar Antiquitäten zu kaufen, und besuchte Auktionen und Haushaltsauflösungen, und als Connor dann auf die Highschool kam und wir in Manhattan wohnten, wusste ich mehr über Antiquitäten als so mancher der Händler, bei denen ich die Stücke kaufte. Ich hatte jedoch nie ernsthaft in Erwägung gezogen, selbst mit Antiquitäten zu handeln, sondern war immer davon ausgegangen, dass
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