Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
sehr Alina litt, eigentlich nur dachte: Ein Glück, dass wir den los sind .
Er versuchte, sein Gewissen zu beruhigen und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. „Wie kommt ein Kind dazu, sich unter staatliche Vormundschaft stellen zu lassen? Müsste sich nicht das Jugendamt um so was kümmern?“
„Kinderschutz zur Emanzipation und Durchführung der Umerziehung, auch liebevoll KASEDU genannt. KASEDU ist eine Unterabteilung des Bildungsministeriums.“ Sie flüsterte beinahe und ihre Stimme zitterte.
„Warum flüstern wir?“
Alina stand auf und machte den Fernseher an. Sie drehte den Ton lauter und sagte übertrieben deutlich, sodass man sie trotz des Lärms gut hören konnte: „Lass uns einfach ein wenig fernsehen und all das hier vergessen. Garrett wird irgendwann zurückkommen, um seine Sachen zu holen. Und wer weiß? Vielleicht ist es wirklich besser, wenn er mit Gleichaltrigen zusammenlebt.“ Dann überkam sie der Schmerz erneut. Sie murmelte: „Gib mir eine Minute“ und rannte aus dem Zimmer.
Die Stimmen aus dem Fernseher brüllten ihn förmlich an und reizten Leonards ohnehin schon angespannte Nerven.
„Der Erste November wird der fünfte Jahrestag des ersten CARS–Vorfalls sein“ , berichtete eine brünette Frau.
„Manchmal habe ich das Gefühl, es wäre erst gestern gewesen“ , erwiderte ihr Kollege, ein pummeliger Mann mittleren Alters.
Nun waren Aufnahmen eines Backsteingebäudes zu sehen. Eine Menschenmenge, Krankenwagen und Polizeiwagen waren um das Bauwerk versammelt.
„Hier sind wir in DEPS 000159, wo sich das schreckliche Massaker ereignet hat.“
„Dreiundzwanzig Schüler.“
Bilder von Grundschulkindern flimmerten nacheinander über den Bildschirm.
„CARS hat so viel Leid über so viele Familien gebracht“, sagte der männliche Nachrichtensprecher.
Die Stimme der Frau zitterte leicht. „Es ist kaum zu glauben. Das Land wäre vielleicht völlig zugrunde gegangen, wenn wir nicht…“
Alina kam zurück in den Raum und wechselte energisch den Sender.
Nun waren faszinierende Bilder von Antilopen, die über Felder liefen, zu sehen. Passend zu den Bewegungen der Herde wurde klassische Musik eingespielt.
„Alina“, schrie Leonard gegen die laute Musik an. „Wieso benimmst du dich so seltsam?“
Alina hielt ihm und gleichzeitig sich selbst die Hand vor den Mund, sah ihn eindringlich an und setzte sich langsam neben ihn. Als sie überzeugt war, dass er verstanden hatte und still sein würde, nahm sie die Hand von seinem Mund.
„Weil die meisten Häuser verwanzt sind“, sagte sie leise. „Ich weiß nicht, ob die Wahrscheinlichkeit höher oder niedriger ist, dass auch unser Haus voller Wanzen ist, weil du ja selbst für das ABV arbeitest. Ich nehme mal an, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, da sie mehr zu verlieren haben, wenn du dich gegen sie stellst.“
Leonard sah sich ängstlich im Raum um. „Verwanzt? Wir werden abgehört?“
„Ich bezweifle, dass sie wirklich die ganze Zeit zuhören, aber ich würde mein Leben darauf verwetten, dass alles digital aufgezeichnet wird. Und besonders verdächtige Personen werden dann wahrscheinlich genauer unter die Lupe genommen.“
„Das ist doch lächerlich.“
„Da ich nicht weiß, was du genau beim ABV machst, kann ich schlecht einschätzen, wie weit oben wir auf der Spionage–Prioritätenliste stehen.“
„Und du bist sicher nicht einfach nur leicht paranoid?“
Alina plusterte die Backen auf und gab beim Ausatmen ein leichtes Knallgeräusch von sich. „Vor zwei Jahren habe ich bemerkt, dass einige unserer hochrangigen Verwaltungsmitarbeiter anfingen, im Personalraum nur noch zu flüstern. Sie streuten dabei in ihre Unterhaltungen ständig irgendwelche willkürlichen, aber gut hörbaren Bemerkungen zum Wetter oder einer Fernsehshow ein.“
„Aber sie befanden sich doch in einem öffentlichen Raum.“
Alina hob ihre Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Als ein Puma eine Antilope erbeutete, wurde die Musik im Fernseher lauter und dramatisch. „Und es wurde erst so richtig gruselig, als einer der Verwaltungsleiter plötzlich spontane Lobreden auf Präsident Stehlen hielt.“
„Was für ein Arschkriecher.“ Leonard lachte leise in sich hinein.
Alinas Augen glühten und sie schlug ihrem Mann gegen die Schulter. „Das ist nicht witzig, Leonard. Er ist verschwunden.“
„Der Präsident?“
Alina stöhnte. „Der Verwaltungsleiter. Sein Name war Collins. Es war, als ob Collins gewusst hätte, dass
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