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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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fertig.“
    Alina lächelte. „Auf dich ist immer Verlass. Also was hast du heute so vor?“
    „Ich weiß nicht. Lesen oder so was.“
    Alina zuckte kurz zusammen. Leonard schien das eine seltsame Reaktion. Wer fände es nicht toll, wenn sein Kind den Sonntag mit Lesen verbringen würde? Dann wurde ihm bewusst, dass sich Alina scheinbar über das Thema der Lektüre Sorgen machte. War es ein Buch für die Schule? War es wieder so ein Gehirnwäschezeug?
    „Was liest du gerade?“, wagte Leonard zu fragen.
    Natalia schien einen Moment entsetzt über die Frage. In ihren Augen blitzte so etwas wie Angst auf. Schließlich antwortete sie: „Eine Geschichte.“
    Leonard verzog den Mund. Er überlegte einen Moment, ob er weiter nachhaken sollte, hatte aber Angst, sie damit zu verschrecken. Er befand sich in einer unangenehmen Zwickmühle. Leonards Auffassung elterlicher Verantwortung sagte ihm, dass er sich für die Freizeitaktivitäten seiner Tochter interessieren müsse und eingreifen sollte, wenn diese nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Aber er hatte Angst, Natalia könnte den gleichen Weg wie ihr Bruder einschlagen und sein Gefühl sagte ihm, er sollte sich nicht weiter einmischen. Natalia sah auf ihren Teller. Alina starrte vom anderen Ende des Tisches Leonard missbilligend an. Er hielt seinen Mund.
    „Ich kümmere mich um den Abwasch“, bot Alina an. „Du musst dich langsam an dein Projekt machen, Leonard.“
    Er stand auf. „Danke, Schatz.“
    Natalia kicherte.
    Über die unerwartete Heiterkeit seiner Tochter erfreut, lächelte Leonard. „Was ist denn so witzig?“
    „Na, dass du ständig Schatz sagst. Ich weiß nicht, Dad. Das passt einfach nicht zu dir.“
    Alina war schon auf dem Weg zur Küche und sagte: „Ich für meinen Teil finde es schön, von meinem Ehemann Schatz genannt zu werden.“
    „Es ist total gaga, Mom.“
    „Ich mag es trotzdem.“
    Leonard grinste. Er nahm Natalias Teller und berührte sie an der Schulter. „Warum gehst du nicht lesen oder machst irgendwas anderes Schönes. Du scheinst eine harte Woche gehabt zu haben.“
    Natalias Lippe fing an zu zittern. „Danke, dass du das gemerkt hast.“
    „Es ist mein Job, das zu merken.“
    Sie sah zu ihm auf und runzelte verwundert die Stirn. Eine Träne lief ihr über das Gesicht.
    In Leonard kamen plötzlich Gefühle hoch, die er nicht recht einordnen konnte; sie schossen durch seinen gesamten Körper und jagten ihm einen Schauer über den Rücken. Er bekam Bauchschmerzen und verspürte plötzlich eine eigenartige Sehnsucht. Bevor er etwas sagen konnte, war Natalia schon von ihrem Stuhl gerutscht und aus dem Raum gerannt. Es waren nur noch ihre Schritte auf der Treppe zu hören.
    Leonard genoss dieses Gefühl, während er seiner Tochter nachsah. Er bemerkte Alinas Anwesenheit erst, als sie direkt hinter ihm stand und ihm auf die Schulter tippte.
    „Der Ausweis, Leonard“, sagte sie leise.
    Leonard zuckte zusammen. Das friedliche, kostbare Gefühl verschwand plötzlich. „Genau, genau, genau.“ Er hielt einen Moment inne. „Irgendeine Idee?“
    „Ich hab keine Ahnung. Aber ich glaub nicht, dass du Möbel verrücken musst, um ihn zu finden.“
    „Wo ist mein Laptop?“
    Sie legte den Kopf schief. „Schatz, Laptops und Computer wurden während Stehlens zweiter Amtszeit konfisziert.“
    Leonard schüttelte den Kopf. „ Konfisziert? “
    Sie lehnte sich zu seinem Ohr und hielt sich dabei an seiner Schulter fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Als die Verstaatlichung fast jedes Industriezweigs zur Gewohnheit geworden war, wurde es richtig schlimm. Blogger schrieben vernichtende Kommentare. Die Menschen verbreiteten ihre eigene Sicht der Dinge. Die Regierung wurde ein wenig paranoid.“
    „Ein wenig? Sie haben das Internet verboten?“
    „Nicht ganz.“
    „Was dann?“
    „Wir haben immer noch Internetzugriff in öffentlichen Bibliotheken.“
    Leonard lachte entsetzt auf. „Das ist ja totaler Irrsinn. Wie könnt ihr nur so leben?“
    Sie zuckte mit den Schultern.
    „Hast du jemals nach den Wanzen im Haus gesucht?“, fragte er.
    „Ja, an allen offensichtlichen Stellen. Gar nichts. Aber selbst wenn ich sie finden würde, könnte ich sie nicht zerstören. Ich nehme an, das würde einen Alarm auslösen. Ich möchte keine Aufmerksamkeit auf mich lenken.“
    Leonard seufzte.
    Sie drückte seine Schulter. „Konzentrier dich einfach auf deine heutige Aufgabe. Die Welt kannst du auch morgen noch

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