Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
gewisser Spencer würde an einem Programm arbeiten, das mechanische Geräusche und Stimmen voneinander trennen könnte. Das ist eigentlich ein Kinderspiel. So eine Technologie gibt es doch schon lange. Dieser Spencer scheint ein Vollidiot zu sein… oder er ist ein Saboteur. Die Vorstellung ließ in Leonard ein Fünkchen Hoffnung aufkommen. Er hätte nichts dagegen, einem Saboteur zu begegnen. Dann fiel ihm wieder ein, dass alles, was er hier erlebte, einer alternativen Realität entsprang. Offensichtlich war die Sprachaktivitätserkennung in dieser Welt noch nicht entdeckt worden. Sofort verblasste die Hoffnung wieder.
„Alles in Ordnung, Sir?“
„Ja, ja, ja. Zurück zu Ihren Berichten.“
„Genau. Alle Adressen, die ich hier markiert habe, scheinen nur erreichbar, wenn wir einen Stasi–Satelliten darauf programmieren, sich auf einen kleineren Bereich zu konzentrieren. Es lohnt sich einfach nicht, Sir.“
Ein Stasi–Satellit? Leonard betrachtete die Bilder an der Trennwand. Auf einem war ein riesiger Satellit abgebildet, auf dem Stasi X001 stand . Er musste beinahe laut auflachen. Wie passend. Ein Spionagesatellit, der Stasi heißt. Genau wie die ostdeutsche Staatssicherheit, einer der wohl rücksichtslosesten Geheimdienste. Dann schauderte es Leonard. Das war kein Witz. Diese alternative Realität glich dem früheren Ostdeutschland in vielerlei Hinsicht. Er fragte sich, ob es dann auch ein Westdeutschland gab, in das man fliehen konnte. Der Gedanke gefiel ihm.
„Sir?“
Sandys Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ja“, sagte er mit etwas mehr Begeisterung als angebracht. „Ich denke, Ihr Team hat völlig recht. Bitte übertragen Sie die Liste auf eine Karte und fügen Sie die entsprechenden Koordinaten hinzu—“
„Die Koordinaten sind hier.“ Sandy zeigte ihm die entsprechende Spalte auf einer Seite.
„Das sehe ich, Sandy. Gute Arbeit. Jetzt möchte ich, dass Sie sie auf eine Karte eintragen.“
„Ja, Sir.“ Sandy stand auf und stieß den Stuhl dabei hastig nach hinten.
„In unterschiedlichen Farben oder so was in der Art. Als Datei, die sie mir e–mailen können.“
„Natürlich, Sir.“ Sie wollte gerade die Arbeitskabine verlassen, blieb jedoch plötzlich stehen, drehte sich um und sah ihn neugierig an.
„Ja?“, sagte er kurz angebunden und spielte den genervten Boss.
„Sie haben mich Sandy genannt.“
Hab ich’s vermasselt?, fragte er sich. Hatte sie nicht gesagt, ihre Freundin nannte sie Sandy? „Ja und?“
Sandy lächelte leicht. „Sie nennen mich für gewöhnlich Little. Das mag ich nicht wirklich. Da fühl ich mich so klein.“
Leonard lachte. Als er begriff, antwortete er: „Nun ja, Sandy Little, ich kann Sie von nun an auch einfach Sandy nennen, wenn Ihnen das lieber ist.“
„Ja, das wäre mir lieber.“
„Aber das heißt nicht, dass Sie mich Leonard nennen dürfen.“
„Natürlich nicht, Mr. Tramer.“ Ihr Gesicht wurde blass und sie eilte davon.
Leonard beobachtete, wie sie den Gang zwischen den Arbeitskabinen hinunterflitzte und langsam aus seiner Sichtweite verschwand. Er schüttelte den Kopf. Da er sein gesamtes Leben vor dem Computer zuhause in seinem Arbeitszimmer verbracht hatte, war es Leonard nicht gewohnt, jemandes Boss zu sein, geschweige denn Mr. Tramer genannt zu werden. Zufrieden mit sich selbst, drehte er sich in seinem Stuhl. Dann wendete er sich seinem Bildschirmschoner zu. Ein 3–D–Satellit hüpfte von einem Bildschirmrand zum anderen und plötzlich hatte Leonard ein brennendes Gefühl in seinem Hals. Er rüttelte an der Maus. Das Gefühl wurde intensiver. Zwei Wörter erschienen, vor denen er sich seit heute Morgen gefürchtet hatte. Benutzername. Passwort.
Leonards Hand schwebte einige Sekunden über der Maus. Es war sinnlos, irgendwelche Passwörter auszuprobieren, wenn er noch nicht einmal seinen Benutzernamen wusste. Er würde nicht merken, welches Passwort stimmte… wenn überhaupt eines stimmen würde.
„Was ist los? Hast du etwa auch deinen Benutzernamen vergessen, Tramer–L–M?“, sagte McGinnis verschmitzt, als er plötzlich in Leonards Kabine kam.
Leonard Michael Tramer. Dankeschön, McGinnis. Erleichtert atmete Leonard tief ein und aus. „Nein. Ich hatte nur gerade mit Sandy Little geredet.“
McGinnis pfiff. „Die ist heiß, nicht wahr?“
„Äh… ja, das ist sie.“
„Hör zu“, sagte McGinnis leise und beugte sich nach vorne, während sein Tonfall plötzlich ernster wurde. „Ich wollte dich nur
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