Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Drogenutensilien darin versteckt, aber es beinhaltete vermutlich Propaganda. Er warf das Buch auf das Bett.
Fünfzehn Minuten später, nachdem er jede einzelne Schublade durchsucht hatte, fand Leonard eine mittelgroße Plastikbox in der Ecke des Wandschranks. Sie war gut verschlossen und zusätzlich mit einem Kombinationsschloss gesichert. Sie roch extrem nach dem Zitrusduft, den Leonard gestern bemerkt hatte. Er rüttelte vergebens an dem Schloss. Als er die Box schüttelte, hörte er ein leicht raschelndes Geräusch.
„Verdammt.“ Er stellte die geheimnisvolle Box zurück in ihr Versteck und ging genau in dem Moment die Treppe hinunter, als Natalia wieder nach Hause kam. Es war fast halb sieben. Alina war schon dabei, Servierteller auf den Tisch zu stellen.
„Ich muss nur noch mal schnell ins Bad“, rief Natalia, als sie die Treppen raufpreschte.
Leonards Gesicht verfinsterte sich und er setzte sich an den Tisch.
Einen Moment später kam Natalia wieder und umklammerte ihr Buch mit Tränen in den Augen. „Warum?“, flüsterte sie verzweifelt.
Leonard lehnte sich zurück und starrte sie zornig an. „Ich geb dir gleich einen Grund zum Weinen, junge Dame.“
Natalia legte einen Finger auf ihre Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie zeigte in alle vier Ecken des Zimmers und mimte mit ihren Lippen lautlos das Wort: „Bitte.“ Leonard wurde in jenem Moment klar, dass seine Tochter von der Verwanzung des Hauses wusste. Außerdem verstand er, dass das Buch, das sie in den Händen hielt, worum auch immer es genau darin ging, keine Propaganda für die Jugendbrigade sein konnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Der Geber sogar von der Regierung verboten worden.
Blut schoss ihm ins Gesicht und ihm wurde einen Augenblick lang schwindelig vor Verwirrung. Leonard stand auf, nahm Natalia behutsam das Buch aus der Hand, legte es bedächtig unter Garretts Platzdeckchen und tätschelte es leicht. Er nickte mitfühlend. Alina betrachtete den leeren Platz am Tisch mit einem fernen, wehmütigen Ausdruck.
„Setz dich, Natalia“, sagte Leonard. „Deine Mutter hat viel Arbeit in dieses köstliche…“ Er warf einen Blick in den Topf. „…Chili mit Bohnen gesteckt.“
Natalia riss die Augen weit auf. Während sie sich langsam und vorsichtig hinsetzte, starrte sie verwirrt ihren Vater an. Er signalisierte ihr, dass sie es sich gemütlich machen solle und sein Gesicht vermittelte die Nachricht: W ir haben ein Geheimnis . Natalia lächelte verlegen. In jenem Moment wurde Leonard klar, dass sie gerade eine ergreifende Entdeckung gemacht hatte. Mein Vater ist keiner von denen . Er vergaß die Drogen beinahe völlig und erfreute sich an der Wärme der familiären Gesellschaft.
Das Abendessen verlief in beinahe völliger Stille. Leonard hatte keine Lust auf gespielt lockere Tischgespräche, tat sich eine ordentliche Portion Chili auf den Teller und tunkte das trockene Brot in die Soße. In seinem Kopf ratterte es wie wild, denn Dutzende Gedanken kämpften gleichzeitig um seine Aufmerksamkeit. Der Ortungs–Button. Natalias Drogen. Carlyles Vorwürfe. Die Stasi Satelliten, die bald auf eine ohnehin schon unterdrückte Bevölkerung losgelassen werden würden. Er sah auf. Alina schien mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Träge und offensichtlich nicht daran interessiert, zu essen, stocherte sie in ihrem Chili herum.
Es war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt, um Natalias Geheimnis anzusprechen. Andererseits würde es dafür niemals einen richtigen Zeitpunkt geben. Es lagen viele unangenehme Gespräche vor ihnen. Es schien, als hätte Alina mindestens eine selbst gemachte Entdeckung in den ohnehin schon viel zu vollen Topf beunruhigender Nachrichten zu werfen.
Jetzt oder nie , redete sich Leonard Mut zu. Seine Wut hatte etwas nachgelassen und er glaubte, dass er die Situation entschlossen aber feinfühlig meistern konnte. Er legte die Gabel neben seinen Teller und sah Natalia nachdenklich an.
Das junge Mädchen zuckte leicht zusammen. Sie neigte den Kopf zur Seite und starrte ihn erwartungsvoll an.
Leonard nahm tief Luft. „Natalia…“
„Ja?“
„Als ich in deinem Zimmer war…“
Ihr Gesicht versteinerte. Ein Hauch Resignation war darin zu erkennen. Sie sah beinahe gebrochen aus.
„Ich habe eine verschlossene Plastikbox gefunden.“
Natalia runzelte die Stirn. Sie öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte. Stattdessen rollte sie die Lippen nach innen und
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