Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
mit der Hand ab, um sie zum Schweigen zu bringen. „Erinnerst du dich an ihren Namen?“
Alina neigte den Kopf zur Seite und antwortete in einem etwas sanfteren Ton. „Sie hieß Sandy irgendwas. Warum?“
Er legte den Kopf in seine Hand. „Sandy Little?“
„Ja. Genau so hieß sie. Sandy Little. Kennst du sie? Arbeitet sie für das ABV?“
Leonard winselte wie ein verwundetes Tier. Dann sah er Alina an. Er versuchte, etwas zu sagen, aber er konnte nur noch mit dem Kopf nicken.
Ihre Wut legte sich überraschend und sie lehnte sich für eine Umarmung zu ihm hinüber. „Du hast recht“, flüsterte sie in sein Ohr. Ihr liefen Tränen über die Wangen und durchnässten Leonards Hemd. „Das ist eine grauenvolle Welt.“
Kapitel Dreizehn
Die dramatische Musik der Natursendung wurde zunehmend lauter und ging während des Abspanns in eine heroische Melodie über.
Und als Nächstes: Stehlen, die Frühen Jahre.
Völlig aufgewühlt vor Kummer seufzte Leonard wütend. Den gesamten Abend über hatte er während ihrer Unterhaltung weder das Radio noch den Fernseher bemerkt. Aber noch eine weitere Eric Stehlen Dokumentation würde ihn momentan nicht nur ablenken, sondern auch unglaublich nerven.
„Lass uns einen Spaziergang machen“, sagte er. „Ist unsere Tochter schon zuhause? Es ist fast dunkel.“
„Ich werfe mal einen Blick in den Hinterhof.“
Während Alina die Treppen hinauflief, ging Leonard herum und stellte alle elektronischen Geräte ab. Er zog ein Paar Sportschuhe an und wartete neben der Tür. Er dachte kurz darüber nach, sich umzuziehen und seine Anzughose gegen eine Jeans einzutauschen, aber so fertig und erschöpft, wie er sich fühlte, war ihm das die Mühe nicht mehr wert.
„Natalia ist in ihrer Festung“, sagte sie, als sie die Treppen heruntereilte und nach ihren Schuhen und einer leichten Jacke suchte.
Sie gingen hinaus. Am Horizont waren orangefarbene Wolken zu sehen und die Temperatur war um mindestens zehn Grad gefallen, seitdem sie nach Hause gefahren waren.
Alina machte den Reißverschluss ihres Mantels zu. „Was macht Sandy beim ABV?“
„Sie arbeitet in meiner Abteilung. Genau genommen arbeitet sie für mich. Nennt mich sogar Mr. Tramer.“
Alina lächelte sanft. „Ich glaube, das bringt mich zu der Frage, die ich dir eigentlich schon seit drei Jahren stellen will.“
„Was mache ich beim ABV?“
„Genau diese Frage.“ Sie nahm seine Hand und führte ihn durch die Büsche hindurch auf den offenen Platz.
Die nächste Stunde verbrachte Leonard damit, ganz detailliert die Ereignisse des Tages wiederzugeben und hielt nur inne, um hier und da Alinas Fragen zu beantworten. Kurz nachdem die Sonne verschwunden war, huschten sie ins Guilder–Projekt und sprachen sogar noch leiser als zuvor, während Alina sie unbewusst zum selben Platz führte wie am Samstagabend. Die grau getigerte Katze näherte sich ihnen zögernd, lief jedoch wieder davon, als sie die beiden scheinbar als das Pärchen wiedererkannte, das keine Leckereien dabei hatte. Alina lehnte sich gegen das Geländer und ihre Augen wurden immer größer, während Leonard seine Geschichte erzählte. Sie sah Leonard immer dann entsetzt mit offenem Mund an, wenn er ein besonders haarsträubendes Detail enthüllte. Er machte plötzlich eine Pause, als er bei der letzten Entdeckung des Tages angelangt war.
„Was ist los?“, fragte Alina und sah ihm besorgt in die Augen.
„Dieses letzte Detail ist besonders beunruhigend.“
„Was könnte noch beunruhigender sein als Spionage–Satelliten und Menschen, die beobachten, was ich in der Bücherei mache?“ Alina ging gedankenverloren einen Schritt zur Seite und stand nun direkt unter einer Laterne. Das summende Neonlicht warf seltsam flackernde Schatten auf ihr Gesicht und verlieh ihr eine schaurige Blässe.
Leonard räusperte sich. „Sie haben so eine Art Ortungssystem.“
„Ja. Wächter und Wanzen in den Häusern.“
„Nein.“
Sie warf ihre Hände in die Luft. „Was dann?“
Leonard fixierte ihren Blick und wartete bis sich ihre Abwehrhaltung in gespannte Aufmerksamkeit wandelte. „Kurz vor Feierabend habe ich im Computersystem eine Seite mit einem großen, roten Button gefunden, auf dem ORTEN stand. Ich gab meinen Namen ein.“
„Bitte sag mir nicht, dass du auf den Button geklickt hast.“
Er legte einen Finger auf ihre Lippen. „Ich konnte einfach nicht anders. Ich dachte, dass sich einfach nur ein Bildschirm öffnen würde, auf dem ich einen
Weitere Kostenlose Bücher