Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
WLN–Antrag für Leonard Tramer stellen könnte.“
„Das ist ja klasse.“ Sie drückte seinen Finger zur Seite. „Jetzt haben sie uns im Visier. Gut gemacht, Leonard.“
Er schüttelte den Kopf und ihm stiegen Tränen in die Augen. „Noch schlimmer.“
Alina sah ihn ängstlich an. „Wieso?“, flüsterte sie, ihre Stimme nicht länger anmaßend oder abschätzig.
„Es erschien eine Karte auf dem Bildschirm. Kein Antrag. Nur eine Karte und ein roter blinkender Punkt.“
„Ein roter blinkender Punkt? Was soll das heißen?“
„Ich glaube, es heißt, dass sie mich orten können.“
Alina drehte langsam ihren Kopf zur Seite, ihr Gesicht drückte nun Neugier aber auch Unbehagen aus. „Du meinst, wie beim GPS?“
„Ja. Als wenn das System irgendwie wusste, dass ich in diesem Stuhl saß.“
Alina war sprachlos.
„Ich weiß nicht, wie sie es machen“, sagte er unruhig. „Ich habe kein Handy bei mir. Ist der Sender vielleicht in meiner Uhr?“
„Deine Uhr“, rief Alina aus, als sie sein nacktes Handgelenk bemerkte. „Du gehst nirgendwo ohne deine Armbanduhr hin.“
„Vielleicht sollte ich damit mal anfangen.“ Er rieb die nackte Stelle an seinem Handgelenk. Da sie über Jahre hinweg kaum Sonne abbekommen hatte, war sie blasser als die restliche Haut. „Und dann ist da auch noch die Sache mit meinem Aktenkoffer. Warum trage ich jeden Tag einen nahezu leeren Aktenkoffer zur Arbeit und wieder zurück? Wozu das Ganze?“
„Ich, äh… Ich weiß nicht.“
„Können sie sich wirklich darauf verlassen, dass ich das bescheuerte Ding jeden Tag mitnehme? Und was ist mit den Wochenenden?“
Alina berührte ihn an der Schulter. „Vielleicht ist in deinem ABV–Ausweis ein Chip versteckt.“
„Es kann nicht einfach nur ein Chip sein. Es muss irgendeine Art von GPS–Sender sein. Ein Sender würde nicht auf eine Chipkarte passen.“ Er schüttelte den Kopf. „Und es sieht so aus, als ob…“
„Ja?“
„Ich glaube, jeder hat eine Ortungsnummer. Neben den Namen, die ich mir heute angesehen habe, standen jede Menge Nummern, auch neben deinem.“
Alina riss die Augen weit auf. „Haben sie etwa alle rote Punkte?“ Ein lautes Geräusch im zweiten Stock ließ sie zusammenfahren und sie huschte schnell wieder zurück in den Schatten.
Leonard sah nach oben, um die Herkunft des Geräusches zu orten. Es brannte nur in einem Fenster Licht. Jenseits des vorhanglosen Fensterrahmens zeichneten sich helle und dunkle Flecken an den Wänden ab. Lachen war zu hören und zwei Gestalten bewegten sich hin und her, als ob sie tanzten. Leonard entspannte sich und versuchte seine Aufmerksamkeit wieder zurück auf Alinas vorherige Frage zu lenken. „Haben sie etwa alle rote Punkte?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich hatte nur Zeit, um meinen eigenen Namen im System nachzuschlagen. Ich kann dem Ganzen ja morgen noch etwas mehr nachgehen.“
„Ich wette, es ist der ABV–Ausweis“, entgegnete Alina selbstsicher. „Die Technik macht immer mehr Fortschritte. Die Sachen werden immer winziger und winziger—“
„Nicht jeder hat einen ABV–Ausweis.“
„Aber jeder hat einen Einwohnerausweis, egal, ob man für die Regierung arbeitet oder nicht.“
„Wirklich?“
„Ja.“ Alina zog einen Ausweis aus ihrer vorderen Tasche. „Und man muss ihn immer bei sich tragen.“ Sie zeigte ihm ihren Ausweis vom Gesundheitsministerium. Details konnte er nur schwer erkennen, aber er schien Leonards ABV–Ausweis zu ähneln.
„Warum muss ich dann meinen nicht bei mir tragen?“
„Ich nehme mal an, das müsstest du schon. Du lässt ihn bloß nicht einfach irgendwo im Haus rumliegen.“
Leonard fummelte an seiner Gesäßtasche herum und zog seine Brieftasche heraus. Er hatte seinen Ausweis nicht wieder versteckt, als er am Abend nach Hause gekommen war, aber Alina zufolge weigerte sich der andere Leonard, ihn in der Brieftasche zu lassen. „Also schleiche ich mich immer erst nach oben und hole ihn aus dem Versteck, bevor ich aus dem Haus gehe?“ Er sah in seine Brieftasche, um sich zu vergewissern, dass der AVB–Ausweis noch da war.
„Du gehst kaum aus dem Haus, Leonard. Abgesehen von der Arbeit.“
„Oh.“ Er hatte plötzlich das Gefühl, dass der Alternative–Realität–Leonard beinahe genauso einsam und mitleiderregend war wie jener Leonard, der sein Leben der sinnlosen Erfindung einer Zeitmaschine gewidmet hatte.
Leonard versuchte die wehmütigen Gedanken zu vertreiben und fuhr fort:
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