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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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und Leonard überkam plötzlich eine Welle der Erleichterung. Gleichzeitig tauchten wieder die Bilder von Sandys leblosem Körper in seinem Kopf auf, ein Mädchen, das viel zu früh sterben musste. Wut, Bestürzung und Traurigkeit hatten den Morgen überschattet, aber nun schöpfte Leonard wieder Hoffnung. Er hatte Tränen in den Augen.
    Das Experiment hatte bestätigt, was sie vermutet und gehofft hatten. Die Ortungssender befanden sich in den Ausweisen. Glücklicherweise erzeugte Max völlig neue Identitäten für sie. Saubere Ausweise, ohne Chips. Die Familie Tramer würde wirklich entkommen und in Grand Junction ein neues Leben aufbauen können – in einer freien Gemeinde, wo sie die Stasi–Satelliten und das Wächter–Lauscher–Netzwerk nicht ausspionieren konnten. Leonard drehte sich erneut mit seinem Stuhl im Kreis.
    Als er wieder zurück an seinen Schreibtisch rollte, sah er etwas völlig Entsetzliches.
    Nein.
    Der Punkt bewegte sich. Richtung Norden. Er zoomte näher heran. Der Punkt schlängelte sich über die Gehwege um das Fitzsimmons Militärkrankenhaus und gewann dabei bemerkenswert an Geschwindigkeit. Alina lief. Und das WLN folgte ihr auf Schritt und Tritt.
    Es bestätigte die andere, von Leonard so gefürchtete Möglichkeit, welche er nicht einmal laut aussprechen wollte. Der Sender war nicht in ihrem Ausweis.
    Er war in Alina.

Kapitel Neunzehn

     
    Während der restlichen Mittagspause zerbrach sich Leonard den Kopf über eine Möglichkeit, sich in die Ortungssoftware zu hacken. Er hatte gehofft, irgendeinen Weg zu finden, die Verbindung zu Alinas, seinem und Natalias Sender zu trennen. Leonard nahm an, dass, wenn nicht gerade in genau dem Moment jemand sie beobachtete, niemandem eine Ortungsnummer außer Betrieb auffallen dürfte. Nichtsdestotrotz waren seine Bemühungen umsonst.
    Als Leonards Kollegen langsam wieder in die Halle strömten, schlug er mit der Faust auf den Tisch und schüttelte anschließend die Hand in der Luft, um den Schmerz etwas zu lindern. Zeit, die Mission abzubrechen. Mark Dickens müsste vermutlich jede Minute in seine Kabine zurückkehren. Leonard verließ das WLN–System schleunigst und kehrte zur SSP01–Menüseite zurück.
    Niemand blieb an seinem Schreibtisch stehen, noch nicht einmal McGinnis, also speicherte Leonard unauffällig Max’ Primärziel–Akte auf dem USB–Stick. Er steckte den Stick seitlich in eine seiner Socken. Wenn zu Beginn auch etwas unbequem, passte sich das kleine Gerät schnell seiner Körpertemperatur an und war schließlich kaum zu bemerken.
    Während des Nachmittags versuchte Leonard sich abzulenken, indem er die Primärziel–Berichte las und die Daten der Beta–Einsatzorte durchsah. Wenn das Beta–Projekt nach Plan abliefe, würden innerhalb der nächsten sechs Monate ein halbes Dutzend neue Satelliten getestet werden. Je nachdem, wie erfolgreich die Testphase dann wäre, würde man in etwa einem Jahr die gesamte Flotte einsetzen.
    Er dachte über die vertrackte Situation nach und fragte sich, ob es seiner Familie wohl jemals gelingen würde, aus Denver zu fliehen. Er sah auf seine Uhr. Viertel vor vier. Immer noch eine lästige Stunde. Leonard lehnte sich in seinem Stuhl zurück, starrte an die Decke und seufzte.
    „Entschuldigen Sie, Sir.“
    Leonard fuhr erschrocken zusammen und wirbelte herum. Reilly, der junge Mann in grauer Uniform, der ihn gestern zu Carlyles Büro begleitet hatte, stand nervös an der Schwelle der Arbeitskabine.
    Leonard war am Ende seiner Kräfte und hatte keine Nerven für Reilly oder Carlyle. Er fühlte sich wie ein mit Sender versehener Vogel, für den die Welt ein riesiges Gefängnis darstellte. Tief einatmen schien kaum gegen die Angst zu helfen; die Luft fühlte sich, während sie durch seine Lungen strömte, heiß und erdrückend an. „Was?“, blaffte er Reilly an.
    „Commander Carlyle würde Sie gerne sehen, Sir.“
    „Das ist einfach nur spitze“, murmelte er vor sich hin. „Jetzt gleich, nehme ich mal an?“
    „Ja, Sir.“
    Leonard stand auf und schob dabei den Stuhl so hart zurück, dass er in seinen Schreibtisch krachte.
    „Möchten Sie, dass ich Sie wieder begleite, Sir?“
    „Nein. Das bekomme ich schon alleine hin, Reilly.“
    ***
    Nachdem Carlyle die Tür abgeschlossen hatte, stolzierte er zu seinem Schreibtisch und setzte sich auf die Ecke. Er verschränkte die Arme und fixierte Leonard, der knapp einen Meter von ihm entfernt auf einem Holzstuhl ohne Armlehnen saß. In dieser

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