Neuromancer-Trilogie
steckte er den Hitachi-Adapter in die Buchse und zog sich die Troden über die Stirn.
»Was hat euch aufgehalten?«, fragte die Flatline und lachte.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst das lassen«, erwiderte Case.
»War nur’n Scherz, Junge«, sagte die Konstruktion. »Für mich steht die Zeit still. So, mal sehn, was wir hier haben …«
Das Kuang-Programm war haargenau so grün wie das T-A-Eis. Es wurde vor Cases Augen allmählich noch undurchsichtiger, obwohl er das schwarzverspiegelte Haigebilde klar erkennen konnte, wenn er hochsah. Die gebrochenen Linien und Halluzinationen waren jetzt verschwunden, und das Ding sah so echt aus wie die Marcus Garvey , ein flügelloser, altertümlicher Jet mit glatter, schwarz verchromter Außenhaut.
»Alles klar«, sagte die Flatline.
»Okay«, sagte Case und schaltete um.
»… nicht gewollt. Tut mir leid«, erklärte 3Jane, während sie Molly den Kopf verband. »Keine Gehirnerschütterung, sagt unser Team, kein bleibender Schaden am Auge. Du hast ihn wohl nicht besonders gut gekannt, bevor du hierhergekommen bist?«
»Überhaupt nicht«, antwortete Molly düster. Sie lag auf einem hohen Bett oder einem gepolsterten Tisch auf dem Rücken. Case konnte das verletzte Bein nicht spüren. Die synästhetische Wirkung der ersten Spritze schien abgeklungen zu sein. Die schwarze Kugel war weg, aber ihre Hände waren mit weichen Gurten fixiert, die sie nicht sehen konnte.
»Er will dich töten.«
»Passt zu ihm.« Molly starrte an einem grellen Licht vorbei zur rauen Decke hinauf.
»Ich glaube, ich möchte das nicht«, sagte 3Jane, und Molly drehte mühsam den Kopf und schaute ihr in die dunklen Augen.
»Spiel nicht mit mir.«
»Das wiederum würde ich gern tun.« 3Jane beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn, wobei sie ihr mit warmer Hand die Haare zurückstrich. Auf ihrem hellen Burnus waren Blutspuren.
»Wo ist er jetzt?«, fragte Molly.
»Setzt sich wahrscheinlich den nächsten Druck«, sagte 3Jane und richtete sich auf. »Er konnte es gar nicht erwarten, dass du kamst. Ich glaube, es würde mir gefallen, dich gesund zu pflegen, Molly.« Sie lächelte und wischte die blutige Hand geistesabwesend an ihrem Gewand ab. »Das gebrochene Bein muss wieder eingerichtet werden, aber das lässt sich machen.«
»Was ist mit Peter?«
»Peter.« 3Jane schüttelte leicht den Kopf. Eine dunkle Strähne löste sich und fiel ihr in die Stirn. »Peter langweilt mich ziemlich. Ich finde Drogenkonsum generell langweilig.« Sie kicherte. »Bei anderen jedenfalls. Mein Vater nahm mit Begeisterung Drogen, wie du bemerkt haben wirst.«
Molly verkrampfte sich.
»Keine Sorge.« 3Janes Finger strichen über die Haut oberhalb des Bunds der Lederhose. »Sein Selbstmord war das Resultat meiner Manipulationen am Sicherheitsspielraum seiner Tiefkühlung. Ich bin ihm nie begegnet, weißt du. Die haben mich aus dem Glas gelassen, nachdem er sich das letzte Mal zur Ruhe gelegt hatte. Aber ich kannte ihn sehr gut. Der Kern weiß alles. Ich habe mit angesehen, wie er meine Mutter umgebracht hat. Das zeig ich dir mal, wenn es dir wieder besser geht. Er erdrosselt sie im Bett.«
»Warum hat er das getan?« Das unbandagierte Auge richtete sich auf 3Janes Gesicht.
»Er konnte den Weg nicht akzeptieren, den sie mit unsrer Familie einschlagen wollte. Sie hat die Entwicklung unserer Künstlichen Intelligenzen in Auftrag gegeben. Sie war eine richtige Visionärin. Sie hat von einer Symbiose zwischen uns und den KI geträumt, die unsre geschäftlichen Entscheidungen fällen sollten. Unsre bewussten Entscheidungen, sollte ich sagen. Tessier-Ashpool sollte unsterblich sein, wie ein Insektenstaat,
und jeder von uns wäre Teil einer größeren Entität gewesen. Faszinierend. Ich spiel dir mal ihre Bänder vor, an die tausend Stunden. Aber ich habe sie eigentlich nie richtig verstanden, und mit ihrem Tod sind ihr Weg und ihr Ziel verlorengegangen. Es gab überhaupt keine Ziele mehr, und wir haben uns immer mehr in uns selbst verkrochen. Jetzt gehen wir nur noch selten nach draußen. Ich bin da eine Ausnahme.«
»Du sagst, du hast versucht, den Alten zu töten? Du hast seine kryogenischen Programme frisiert?«
3Jane nickte. »Ich hatte Unterstützung. Von einem Gespenst. Das habe ich jedenfalls geglaubt, als ich noch klein war: dass es Gespenster im Kern der Firma gibt. Stimmen. Eine davon war Wintermute, wie ihr ihn nennt. Das ist der Turing-Code für unsere Berner KI, wobei die
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