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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Case.
    »Nee, hab aber auch noch nie’ne KI geknackt.«
    »Weiß das Ding, wo es hinwill?«
    »Na hoffentlich.«
    Sie gingen nach unten, verloren in einer regenbogenfarbenen Neonschlucht ständig an Höhe.
    »Dix …«
    Ein schattenhafter Arm griff vom flimmernden Boden drunten zu ihnen herauf, eine brodelnde, finstere Masse, ungeformt und konturlos …
    »Kriegen Gesellschaft«, sagte die Flatline, als Case sich die Reproduktion seines Decks griff. Seine Finger flogen automatisch über die Tasten. Das Kuang legte sich in eine schwindelerregende Kurve, machte dann kehrt, schoss zurück und zerstörte damit die Illusion eines physischen Gefährts.
    Das Schattengebilde wuchs, breitete sich aus und verdeckte die Datenstadt. Case steuerte senkrecht nach oben. Über ihnen, in unbestimmbarer Ferne, die Kuppel aus jadegrünem Eis.
    Die Stadt des Kerns war jetzt von dem Dunkel unter ihnen gänzlich verschluckt.
    »Was ist das denn?«
    »Das Abwehrsystem einer KI«, sagte die Konstruktion, »oder ein Teil davon. Wenn das dein Kumpel Wintermute ist, dann sieht er nicht besonders freundlich aus.«
    »Übernimm mal«, sagte Case. »Du bist schneller.«
    »Tja, Angriff ist die beste Verteidigung, Junge.«
    Die Flatline richtete die Nase des Kuangstachels auf das dunkle Zentrum unter ihnen aus. Und stieß hinab.
    Ihr Tempo war so hoch, dass sich Cases Sinneswahrnehmungen verzerrten.

    Ein bitterer Blaugeschmack machte sich in seinem Mund breit.
    Seine Augen wurden zu Eiern aus instabilem Kristall, die mit der Frequenz von Regen und ratternden Zügen vibrierten und mit einem Mal einen summenden Wald haarfeiner Glaszapfen wachsen ließen. Die Zapfen brachen auf, teilten sich und brachen erneut auf, exponentielles Wachstum unter der Kuppel des Tessier-Ashpool-Eises.
    Sein Gaumen spaltete sich schmerzlos und ließ Wurzelfasern hindurch, die um seine Zunge peitschten und gierig den Blaugeschmack aufsaugten, um die Kristallwälder seiner Augen zu nähren, Wälder, die gegen die grüne Kuppel drückten, dagegenpressten und aufgehalten wurden, sich weiter ausdehnten und nach unten wuchsen, um das ganze Universum von T-A auszufüllen, nach unten in die wartenden, tristen Vorstädte der City, die das Gehirn der Tessier-Ashpool SA war.
    Und ihm fiel eine alte Geschichte ein, die Geschichte vom König, der Münzen auf ein Schachbrett legt und die Anzahl der Münzen bei jedem Feld verdoppelt.
    Exponentiell …
    Dunkelheit stürzte von allen Seiten herein, eine Sphäre singender Schwärze, ein Druck auf die ausgedehnten Kristallnerven des Datenuniversums, zu dem er fast schon geworden war …
    Und als er ein im Herzen dieser Dunkelheit komprimiertes Nichts war, kam ein Punkt, an dem die Dunkelheit nicht mehr sein konnte, und etwas zerriss.
    Das Kuang-Programm brach durch stumpfe Wolken – Cases Bewusstsein teilte sich wie Quecksilberperlen – und flog in hohem Bogen über einen endlosen Strand von der Farbe der dunklen Silberwolken hinweg. Sein Blickfeld war sphärisch, als würde sich eine Retina über die Innenfläche einer Kugel spannen, die alle Dinge enthielt, sofern alle Dinge zählbar waren.

    Und hier war alles zählbar, jedes einzelne Ding. Er kannte die Zahl der Sandkörner in der Strandkonstruktion (eine Zahl, dargestellt in einem mathematischen System, das ausschließlich in dem Geist namens Neuromancer existierte). Er kannte die Zahl der gelben Nahrungspakete in den Containern im Bunker (vierhundertsieben). Er kannte die Zahl der Messinghäkchen an der linken Hälfte des offenen Reißverschlusses der salzverkrusteten Lederjacke, die Linda Lee trug, als sie, einen Treibholzstock in der Hand schwingend, bei Sonnenuntergang über den Strand stapfte (zweihundertundzwei).
    Er legte das Kuang über dem Strand in die Kurve und zog das Programm in weitem Kreis herum, wobei er das schwarze Haifischgebilde durch ihre Augen sah, ein lautloser, gieriger Spuk vor den tiefhängenden Wolkenbänken. Sie duckte sich furchtsam, ließ den Stock fallen und rannte davon. Er kannte ihre Pulsfrequenz, die Länge ihrer Schritte in Maßangaben, die den höchsten geophysikalischen Genauigkeitsansprüchen genügt hätten.
    »Aber ihre Gedanken kennst du nicht«, sagte der Junge, der jetzt im Herzen des Haifischgebildes bei ihm war. »Ich kenne ihre Gedanken nicht. Du hast dich geirrt, Case. Wer hier lebt, der lebt. Da gibt’s keinen Unterschied.«
    Linda hechtete sich in ihrer Panik blindlings in die Wellen.
    »Halt sie auf!«, bat Case. »Sonst tut sie

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