Neuromancer-Trilogie
Ding schaukelt, wenn sie rumlaufen, daran sieht man’s. Wir machen die Räder ab, wenn es so weit ist, aber vorerst ist es uns ganz recht, wenn wir sie auf diese Weise’n bisschen im Auge behalten können.«
Turner ging langsam um das braune Gehäuse herum. Dabei fiel ihm das glänzende schwarze Abflussrohr auf, das zu einem kleinen, rechteckigen Tank in der Nähe führte.
»Den musste ich gestern Abend ausleeren. Pfui Teufel!« Lynch schüttelte den Kopf. »Sie haben Nahrung und etwas Wasser.«
Turner legte das Ohr an den Rumpf.
»Schalldicht«, sagte Lynch.
Turner betrachtete das Stahldach über ihnen. Die Ambulanz war von oben durch ein gut zehn Meter langes, rostiges Dach abgeschirmt. Stahlblech, das nun heiß genug war, um darauf Spiegeleier zu braten. Turner nickte. Das heiße Dach würde ein permanenter Faktor in der Maas’schen Infrarotüberwachung sein.
»Fledermäuse«, sagte Webber und reichte ihm die Smith & Wesson in einem schwarzen Schulterhalfter aus Nylon. Die Dunkelheit war voller Laute, die von innen zu kommen schienen: metallisches Quietschen, das Geraschel von Käfern und das Geschrei unsichtbarer Vögel. Turner stopfte die Knarre samt Halfter in eine Parkatasche. »Wenn du pinkeln musst, geh zu dem Mesquitebaum rüber. Aber pass auf die Stacheln auf.«
»Woher kommst du?«
»New Mexico«, sagte die Frau. Ihr Gesicht sah im verbliebenen Licht wie geschnitzt aus. Sie wandte sich ab und ging zu dem Mauerwinkel mit der Plane. Dort konnte Turner Sutcliffe
und einen jungen Schwarzen ausmachen. Sie aßen aus matten Folienpackungen. Ramirez, der Konsolenjockey vor Ort, der Partner von Jaylene Slide. Aus Los Angeles.
Turner schaute zur Kuppel des grenzenlosen Himmels hinauf, zu der Sternenkarte darin. Komisch, dass er von hier aus so viel größer wirkt, dachte er. Vom Orbit aus ist es nur ein formloser Schlund, für den es keinen Maßstab mehr gibt. Heute Nacht würde er nicht schlafen können, das wusste er, und der Große Wagen würde sich für ihn drehen und mit seinem Gefolge zum Horizont ziehen.
Übelkeit und Schwindel befielen ihn, als vor seinem geistigen Auge ungebeten Bilder aus dem Biosoft-Dossier auftauchten.
8
Paris
Andrea lebte im Quartier des Ternes in einem alten Haus, das wie die anderen in der Straße darauf wartete, von den unerbittlichen Renovierern der Stadt sandgestrahlt zu werden. Im dunklen Eingang glomm ein mattes Biofluoreszenz-Band von Fuji Electric über einer baufälligen Wand voller kleiner Holzkästen, deren Türchen mit den Schlitzen zum Teil noch intakt waren. Marly wusste, dass Postboten früher täglich die Post durch solche Schlitze eingeworfen hatten; irgendwie fand sie das romantisch, obwohl die Kästchen mit den vergilbenden Visitenkarten, auf denen die Berufe längst verschwundener Hausbewohner aufgeführt waren, immer deprimierend auf sie gewirkt hatten. An den Wänden des Flurs waren pralle, verschlungene Kabel- und Glasfaserstränge befestigt, jeder Strang ein potenzieller Alptraum für einen vom Pech verfolgten Service-Techniker. Am anderen Ende, hinter einer offenen Tür mit staubigen Milchglasscheiben, lag
ein nicht mehr benutzter Innenhof mit feuchtglänzendem Pflaster.
Dort im Hof hockte, als Marly das Haus betrat, der Concierge auf einer leeren weißen Evian-Mineralwasserkiste und schmierte sorgfältig eine alte schwarze Fahrradkette, Glied für Glied. Er blickte auf, als Marly zur Treppe ging, zeigte aber kein größeres Interesse.
Die Marmorstufen waren von ganzen Mietergenerationen abgenutzt und ausgetreten. Andreas Wohnung lag im dritten Stock. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Marly hatte sich hier einquartiert, als sie ihre Galerie endgültig geschlossen hatte und nicht mehr in dem provisorischen Schlafzimmer – dem Kämmerchen hinter dem Lager – übernachten konnte, das sie mit Alain geteilt hatte. Nun drückte das Haus wieder auf ihre Stimmung, aber ihr neues Outfit und das helle Klappern ihrer Absätze auf den Marmorstufen hielten die Depressionen auf Distanz. Sie trug einen übergroßen Ledermantel, der eine Nuance heller war als ihre Handtasche, einen Wollrock und eine Seidenbluse von Paris Isetan. In Faubourg St. Honoré hatte sie sich am Vormittag von einer Burmesin mit einem deutschen Laserstift die Haare schneiden lassen; ein teurer Schnitt, schlicht, aber mit Pfiff.
Sie berührte die runde Platte, die in der Mitte von Andreas Tür aufgeschraubt war, und hörte es einmal piepen, als die Platte die Furchen und Grate ihrer
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