Neuromancer-Trilogie
Turner?«
»Ich will euren Stall voller Viehdoktoren sehn. Ich will einen Befehlsstand sehn. Von einem Befehlsstand war noch nicht die Rede.«
»Alles bereit.«
»Prima. Hier.« Turner gab Webber den Revolver. »Sieh zu, ob du irgendwas auftreiben kannst, wo ich den reinstecken kann. Und jetzt soll Lynch mir diese Ärzte zeigen.«
»Er hat sich schon gedacht, dass du’s sein würdest«, sagte Lynch, der mühelos einen kleinen Schutthang hinaufstieg. Turner folgte ihm. »Du hast’nen tollen Ruf.« Der jüngere Mann blickte unter schmutzigen, sonnengebleichten Haarfransen hervor zu ihm.
»Kann ich gut drauf verzichten«, sagte Turner. »Am besten, man hat überhaupt keinen Ruf. Schon mal mit ihm gearbeitet? Marrakesch?«
Lynch zwängte sich seitlich durch eine Lücke im Schlackenstein. Turner blieb dicht hinter ihm. Die Wüstenpflanzen rochen nach Teer; sie stachen und blieben haften, wenn man sie streifte. Durch ein rechteckiges Loch, das als Fenster gedacht
gewesen war, konnte Turner rosige Berggipfel sehen. Dann lief Lynch einen Kieshang hinunter.
»Klar hab ich schon für ihn gearbeitet«, sagte Lynch, der am Fuß des Hangs wartete. Ein alt aussehender Ledergürtel saß tief auf seinen Hüften. Das wuchtige Koppelschloss war ein Totenkopf aus angelaufenem Silber mit einer Finne aus stumpfen, pyramidenförmigen Stacheln. »Marrakesch, das war vor meiner Zeit.«
»Für Connie auch, Lynch?«
»Wie?«
»Für Conroy? Hast du für den auch schon gearbeitet? Oder exakter: Arbeitest du jetzt für ihn?« Turner kam langsam und bedächtig den Hang herunter, während er sprach; der Kies knirschte und rutschte unter seinen Segeltuchschuhen und bot wenig Halt. Er konnte die zierliche kleine Flechette sehen, die in einem Pistolenhalfter unter Lynchs Jeansweste steckte.
Lynch leckte sich die trockenen Lippen und wich nicht von der Stelle. »Das ist’n Kontakt von Sut. Ich kenn den Mann nicht.«
»Conroy hat ein Problem, Lynch. Er kann die Verantwortung nicht delegieren. Er hat gern von Anfang an einen eigenen Mann dabei, der auf die Aufpasser aufpasst. Immer. Bist du das, Lynch?«
Lynch schüttelte den Kopf, das absolute Minimum an Bewegung, um die Verneinung auszudrücken. Turner war so nahe bei ihm, dass er trotz des Teergestanks der Wüstenpflanzen seinen Schweiß roch.
»Ich hab erlebt, dass Conroy auf diese Weise zwei Abwerbungen vermasselt hat«, sagte Turner. »Eidechsen und Glasscherben. Willst du hier sterben, Lynch?« Er hielt dem anderen die Faust vors Gesicht, streckte langsam den Zeigefinger aus und deutete nach oben. »Wir sind in ihrem Überwachungsgebiet.
Wenn ein Spitzel von Conroy hier auch nur das kleinste Signal rausschickt, haben sie uns am Wickel.«
»Falls sie uns nicht eh schon haben.«
»Richtig.«
»Sut ist dein Mann«, sagte Lynch. »Nicht ich. Und Webber ist es wohl auch nicht.« Er kratzte sich mit schwarz geränderten, brüchigen Fingernägeln geistesabwesend den Bart. »Hast du mich nur wegen dieser kleinen Unterredung hergeholt, oder willst du nach wie vor unsere Japs-Fuhre sehn?«
»Schauen wir sie uns mal an.«
Lynch. Lynch war es.
Vor Jahren hatte sich Turner in Mexiko mal ein mobiles, solarbetriebenes Ferienmodul französischer Herkunft gemietet. Das Sieben-Meter-Modul aus einer glänzenden Legierung hatte die Form einer flügellosen Stubenfliege, deren Augen zwei Halbkugeln aus getöntem, photosensitivem Kunststoff waren; hinter denen hatte er gehockt, das Modul im Rachen eines alten, zweimotorigen russischen Transportflugzeugs, das an der Küste entlanggebrummt war, so tief, dass es beinahe die Kronen der höchsten Palmen streifte. Turner wurde an einem abgelegenen schwarzen Sandstrand abgesetzt, wo er drei wundervolle, einsame Tage in der engen, mit Teakholz vertäfelten Kabine verbrachte, sich Tiefkühlkost in der Mikrowelle heiß machte und sparsam, aber regelmäßig mit kühlem Süßwasser duschte. Die rechteckigen Solarzellen des Moduls drehten sich und richteten sich nach der Sonne aus, und er lernte, nach ihrer Position die Zeit zu bestimmen.
Hosakas mobile Neurochirurgie glich einer augenlosen Version jenes französischen Moduls, war etwa zwei Meter länger und schmutzigbraun lackiert. Perforierte Winkeleisen waren in regelmäßigen Abständen an die untere Hälfte des Rumpfs geschweißt und trugen simple, gefederte Aufhängungen für
zehn Speichenräder mit dicken, stark genoppten roten Fahrradreifen aus Gummi.
»Sie schlafen«, sagte Lynch. »Das
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