Neuromancer-Trilogie
er ein Gerät anfasste oder auch nur einen Millimeter verrückte. Da er diesen neurotischen Touch schon bei anderen Konsolenfreaks erlebt hatte, sagte er ihm nichts über Ramirez. Er hatte andere Jockeys gesehen, die diesen Zug ins Gegenteil verkehrten und ihr Deck absichtlich in einem Kabelsalat untergehen ließen, die panische Angst vor Ordnung hatten und ihre Konsolen mit Abziehbildchen von Würfeln und Totenköpfen mit aufgerissenen Mündern zupflasterten. Man konnte es einfach nicht sagen, dachte er; entweder war Ramirez gut, oder sie waren vielleicht bald alle tot.
Am anderen Ende des Tisches lagen, noch in Plastik eingeschweißt, fünf Sprechfunk-Kopfhörer von Telefunken mit selbstklebendem Kehlkopfmikro. In der entscheidenden Phase des Abwerbunternehmens – für Turner die zwanzig Minuten vor und nach Mitchells Ankunft – würden er, Ramirez, Sutcliffe, Webber und Lynch Funkverbindung haben, obwohl der Einsatz des Sprechfunks auf ein absolutes Minimum beschränkt bleiben sollte.
Hinter den Kopfhörern stand eine unbeschriftete Kunststoffbox mit zwanzig katalytischen Handwärmern aus Schweden, glatten, flachen Rechtecken aus rostfreiem Stahl, die jeweils in einem Schnürbeutelchen aus weihnachtsrotem Baumwollflanell steckten. »Bist’n schlauer Hund«, sagte er zu der Box. »Hätte glatt von mir sein können …«
Er legte sich auf eine gerippte Schaumstoffmatte auf dem Boden des Befehlsstands und deckte sich mit dem Parka
zu. Conroy hatte Recht gehabt bezüglich der Wüstennächte, aber der Beton schien die Wärme des Tages zu speichern. Overall und Schuhe behielt er an; Webber hatte ihm geraten, Kleidung und Schuhe immer erst auszuschütteln, bevor er sie anzog. »Skorpione«, hatte sie gesagt. »Die stehen auf Schweiß und alles Feuchte.« Vorher nahm er noch die Smith & Wesson aus dem Halfter und legte sie behutsam neben die Matte. Er ließ die zwei Batterielampen brennen und schloss die Augen.
Und glitt in ein seichtes Traummeer; Bilder wirbelten vorbei, Fragmente aus Mitchells Dossier verschmolzen mit Momenten seines eigenen Lebens. Er und Mitchell fuhren einen Bus durch eine Glaskaskade ins Foyer eines Hotels in Marrakesch. Mit einem Jubelschrei drückte der Wissenschaftler auf den Knopf, der die zwei Dutzend CN-Dosen, die an den Fahrzeugseiten klebten, zur Explosion brachte. Oakey war ebenfalls da und hielt ihm die Whiskeyflasche und gelbes peruanisches Koks auf einem runden, plastikgerahmten Spiegel hin, den er zuletzt in Allisons Handtasche gesehen hatte. Irgendwo draußen vor den Fensterscheiben des Busses glaubte er Allison zu sehen, die in den Gaswolken nach Luft rang; er wollte es Oakey sagen und sie ihm zeigen, aber die Scheiben waren mit mexikanischen Heiligenhologrammen und Postkarten der Jungfrau Maria zugeklebt, und Oakey hielt ein glattes, rundes Ding hoch, eine pinkfarbene Kristallkugel mit einer zusammengekauerten Quecksilberspinne darin, aber da lachte Mitchell mit blutigen Zähnen und öffnete die ausgestreckte Hand, um Turner das graue Biosoft zu geben. Turner sah, dass das Dossier ein Gehirn war, ein lebendiges, gräulich-rosa Gebilde unter einer nassen, durchsichtigen Membran, das in Mitchells Hand sanft pulsierte, und dann stolperte er über irgendeine Unterwassertraumkante und sank langsam in eine Nacht ohne Sterne.
Webber weckte ihn. Ihre harten Züge wurden von der rechteckigen Türöffnung umrahmt, und die schwere Militärdecke, die vor den Eingang geklebt war, lag um ihre Schultern. »Deine drei Stunden sind um. Die Ärzte sind auf, falls du mit ihnen sprechen willst.« Sie zog sich zurück; Kies knirschte unter ihren Stiefeln.
Hosakas Ärzte warteten neben ihrer autarken Neurochirurgie. In der Wüstenmorgendämmerung sahen sie aus, als wären sie in ihren modisch-knittrigen Ginza-Klamotten soeben einem Materietransmitter entstiegen. Einer der Männer steckte in einer übergroßen, handgestrickten mexikanischen Gürteljacke, wie Turner sie an Touristen in Mexico City gesehen hatte. Die beiden anderen wurden von teuer aussehenden, isolierten Skianoraks vor der Wüstenkälte geschützt. Die Männer waren einen Kopf kleiner als die Koreanerin, eine schlanke Frau mit ausgeprägten, archaischen Zügen und einem rotgefärbten Schopf, der Turner an einen Greifvogel erinnerte. Conroy hatte gesagt, die beiden Männer seien Firmenangehörige, was Turner auf den ersten Blick sah; nur die Frau hatte das Gebaren und die Haltung, die zu Turners Welt gehörten. Sie war eine
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