Neuromancer-Trilogie
Servomotoren.
30
Mietling
Turner starrte in Conroys Gesicht auf dem Bildschirm des Telefons im Büro. »Geh schon«, sagte er zu Angie. »Geh mit ihr!« Das große schwarze Mädchen mit den Widerständen im Haar trat vor, legte behutsam den Arm um Mitchells Tochter und sagte mit leiser, singender Stimme etwas in eben jenem von Schnalzlauten durchsetzten Kreolisch. Der Junge im T-Shirt starrte Angie immer noch mit offenem Mund an. »Komm schon, Bobby!«, sagte die Schwarze. Turner schaute über den Schreibtisch hinweg zu dem Mann mit der verletzten Hand hinüber, der eine zerknitterte weiße Smokingjacke und eine Bolo-Tie aus geflochtenem schwarzem Leder trug. Das musste Jammer sein, befand Turner, der Besitzer des Clubs. Jammer hielt sich die Hand auf dem Schoß; ein blaugestreiftes Handtuch von der Bar diente als Unterlage. Er hatte ein langes Gesicht, einen kräftigen Bart, der ständig rasiert werden musste, und die harten, schmalen Augen des echten Profis. Als ihre Blicke sich begegneten, merkte Turner, dass der Mann außerhalb des Sichtfelds der Telefonkamera saß; er hatte seinen Drehsessel in eine Ecke geschoben.
Der Junge im T-Shirt, Bobby, schlurfte hinter Angie und der Schwarzen aus dem Zimmer; er bekam den Mund noch immer nicht zu.
»Du hättest uns beiden viel Stress ersparen können, Turner«, sagte Conroy. »Hättest mich anrufen können. Hättest deinen Agenten in Genf anrufen können.«
»Und Hosaka?«, fragte Turner. »Hätt ich die auch anrufen können?«
Conroy schüttelte langsam den Kopf.
»Für wen arbeitest du, Conroy? Du hast bei der Sache ein doppeltes Spiel getrieben, stimmt’s?«
»Aber nicht dir gegenüber, Turner. Wenn alles so gelaufen wäre wie geplant, wärst du jetzt mit Mitchell in Bogotá. Das Rail-Geschütz konnte erst feuern, nachdem der Jet weg war, und wenn wir’s richtig durchgezogen hätten, wäre Hosaka garantiert überzeugt gewesen, Maas hätte den gesamten Sektor hochgejagt, um Mitchell zu stoppen. Aber Mitchell hat’s nicht geschafft, nicht wahr, Turner?«
»Hatte er auch nicht vor.«
Conroy nickte. »Genau. Und der Sicherheitsapparat auf dem Berg bekam mit, dass das Mädchen rausging. Das ist sie doch, oder, die Tochter von Mitchell.«
Turner sagte nichts.
»Klar«, sagte Conroy, »hätt ich mir denken können.«
»Ich hab Lynch erschossen«, sagte Turner, um von Angie abzulenken. »Aber kurz vor dem großen Knall hat mir Webber erzählt, sie würde für dich arbeiten …«
»Die haben alle beide für mich gearbeitet, aber keiner wusste vom andern.« Conroy zuckte mit den Achseln.
»Warum?«
Conroy lächelte. »Weil du sie vermisst hättest, wenn sie nicht da gewesen wären, oder etwa nicht? Weil du meinen Stil kennst und angefangen hättest, dich zu wundern, wenn ich irgendwas anders gemacht hätte als sonst. Und weil ich wusste, dass du dich nie im Leben verkaufen würdest. Mr. Sofortloyal. Mr. Bushido. Auf dich war immer Verlass, Turner. Hosaka wusste das. Deshalb bestanden sie darauf, dass ich dich mit reinnehme.«
»Du hast meine erste Frage nicht beantwortet, Conroy. Für wen hast du noch gearbeitet?«
»Für einen Mann namens Virek«, sagte Conroy. »Der Geldmensch, du weißt schon. Er hat seit Jahren versucht, Mitchell zu kaufen. Und Maas hätte er gleich mit aufgekauft. Aber keine Chance. Die sind dermaßen reich geworden, dass er
ihnen nichts anhaben konnte. Es gab ein unbefristetes Angebot für Mitchell. Ein nach oben offenes Angebot. Als Hosaka von Mitchell hörte und mich hinzuzog, beschloss ich, dieses Angebot zu prüfen. Aus reiner Neugier. Aber bevor ich dazu kam, waren Vireks Leute schon bei mir. Wir sind uns ziemlich schnell handelseinig geworden, Turner, glaub mir.«
»Ich glaube dir.«
»Aber Mitchell hat uns alle aufs Kreuz gelegt, Turner. Und zwar gründlich.«
»Also haben sie ihn umgebracht.« »Er hat sich selber umgebracht«, sagte Conroy. »Das behaupten jedenfalls Vireks Maulwürfe im Berg. Sobald das Kind mit dem Ultralight losgeflogen war. Hat sich mit einem Skalpell die Kehle durchgeschnitten.«
»Hat Leichen en masse gegeben, Conroy«, sagte Turner. »Oakey ist tot, und der Japs, der deinen Helikopter geflogen hat, auch.«
»Hab ich mir schon gedacht, als sie nicht zurückgekommen sind«, meinte Conroy mit einem Achselzucken.
»Die wollten uns kaltmachen«, sagte Turner.
»Nein, Mann, die wollten nur mit dir reden. Von der Kleinen wussten wir da noch gar nichts. Wir wussten nur, dass du weg warst und dass es
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