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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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sie weiterleitete. Sie rührte die Suppe mit einem schlanken, rostfreien Schneebesen um und sah den Dampf aufsteigen. Es half, wenn man was tat, dachte sie, wenn man einfach selber was tat. In der Klinik hatten sie darauf
bestanden, dass sie ihr Bett selber machte. Jetzt löffelte sie eine Schüssel selbstgemachter Suppe aus und dachte stirnrunzelnd an die Klinik zurück.
     
    Sie hatte die Klinik nach einer Woche Behandlungsdauer eigenmächtig verlassen. Die Weißkittel protestierten. Die Entgiftung sei wunderbar gelaufen, sagten sie, aber die Therapie habe noch gar nicht angefangen. Sie verwiesen auf die Rückfallquote von Patienten, die das Programm vorzeitig abgebrochen hatten. Sie erklärten, dass ihre Versicherung ungültig wäre, wenn sie die Behandlung beendete. Sense/Net werde schon zahlen, sagte sie, falls es ihnen nicht lieber sei, dass sie selber zahle. Sie zückte ihren Mitsu-Bank-Platinchip.
    Ihr Lear kam eine Stunde später an; sie befahl ihm, sie nach Los Angeles zu bringen, bestellte sich dort einen Wagen und verbot der Maschine, irgendwelche Anrufe durchzustellen.
    »Tut mir leid, Angela«, sagte der Jet Sekunden nach dem Start, als er sich gerade über Montego Bay in die Kurve legte, »aber ich habe Hilton Swift auf Management-Vorrangschaltung.«
    »Angie«, sagte Swift, »du weißt, dass ich immer hinter dir stehe. Das weißt du doch, Angie.«
    Sie wandte sich um und starrte auf das schwarze Lautsprecheroval. Es war in glattes graues Plastik eingelassen, und sie stellte sich vor, wie er dort hinter der Wandverkleidung des Lear kauerte, die langen Läuferbeine schmerzhaft abgeknickt – ein groteskes Bild.
    »Das weiß ich, Hilton«, sagte sie. »Nett von dir, dass du anrufst.«
    »Du fliegst nach L. A., Angie?«
    »Ja, das hab ich dem Flieger gesagt.«
    »Nach Malibu.«
    »Genau.«
    »Piper Hill ist auf dem Weg zum Flughafen.«

    »Danke, Hilton, aber ich will nicht, dass sie kommt. Ich will niemand sehen. Ich will nur ein Auto.«
    »Es ist kein Mensch im Haus, Angie.«
    »Prima. Das will ich ja gerade, Hilton. Kein Mensch im Haus. Das Haus, ganz für mich allein.«
    »Ist das auch wirklich eine gute Idee?«
    »Die beste, die ich seit langem hatte, Hilton.«
    Pause. »Sie haben gesagt, es ist gut gelaufen, Angie. Die Behandlung. Aber du hättest noch bleiben sollen.«
    »Ich brauch eine Woche Zeit«, sagte sie. »Eine Woche. Sieben Tage. Allein.«
     
    Nach der dritten Nacht im Haus wurde sie bei Morgengrauen wach, machte Kaffee und zog sich an. Das breite Fenster zur Terrasse war beschlagen. Sie hatte einfach nur geschlafen; falls sie geträumt hatte, wusste sie es nicht mehr. Trotzdem war da etwas – eine Art Beschleunigung, fast schon ein Schwindelgefühl. Sie stand in der Küche und spürte den kalten Fliesenboden durch die dicken Tennissocken; ihre Hände lagen um die warme Tasse.
    Da war etwas. Sie streckte die Arme aus, hob in einer instinktiven und zugleich ironischen Geste die Kaffeetasse wie einen Kelch.
    Es war drei Jahre her, dass sie von Loa geritten worden war, drei Jahre, dass diese überhaupt Kontakt mit ihr aufgenommen hatten. Aber nun?
    Legba? Einer der anderen?
    Das Gefühl einer unsichtbaren Gegenwart verschwand urplötzlich. Sie stellte die Tasse viel zu schnell auf dem Tresen ab, so dass ihr Kaffee über die Hand schwappte, und lief los, um sich Schuhe und eine Jacke anzuziehen. Grüne Gummistiefel aus dem Schrank mit den Strandsachen, eine dicke blaue Bergjacke, die sie nicht kannte und die Bobby zu groß
gewesen wäre. Sie lief aus dem Haus und sprang die Stufen hinunter, ohne sich um das Propellergeräusch des Spielzeugdornier zu kümmern, der wie eine geduldige Libelle hinter ihr aufstieg. Sie warf einen kurzen Blick auf das kunterbunte Durcheinander der Strandhäuser im Norden, deren Dächergewirr sie an ein Barrio in Rio erinnerte, und wandte sich dann südwärts zur Kolonie.
     
    Wer dann kam, hieß Mamman Brigitte oder Grande Brigitte, für manche die Gemahlin von Baron Samedi, für andere ›die Älteste der Toten‹.
    Die Traumarchitektur der Kolonie ragte linker Hand von Angie auf, eine Orgie von Form und Ego. Zerbrechlich wirkende Nachbildungen der Watts Towers mit bündig eingelassenem Neon erhoben sich neben neobrutalistischen Bunkern mit bronzener Flachrelief-Front.
    Spiegelwände reflektierten, als sie an ihnen vorbeiging, morgendliche Wolkenbänke über dem Pazifik.
    In den letzten drei Jahren hatte sie hin und wieder das Gefühl gehabt, sie sei im Begriff,

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