Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
arbeitet?«
    »Ja.«
    »Da haben wir’s. Vielleicht hört er uns gerade zu.«
    Kumiko hätte beinahe ihren restlichen Kakao umgestoßen.
    »He.« Die polierten Nägel tippten ihr aufs Handgelenk. »Keine Bange. Er hätte dich nie einfach so mit’ner Wanze rübergeschickt. Damit könnten dich seine Feinde zu leicht aufspüren. Aber du verstehst, was ich meine? Es tut gut, mal abzuhauen. Oder es wenigstens zu versuchen. Um mal allein zu sein. Kapiert?«
    »Ja.« Kumiko hatte immer noch Herzklopfen, und die Panik stieg weiter in ihr hoch. »Er hat meine Mutter umgebracht«, platzte sie heraus und kotzte Kakao auf den grauen Marmorboden des Cafés.
     
    Sally führte sie an den Säulen von Saint Paul’s entlang, ein stummer Spaziergang in einer losgelösten, von Scham geprägten Trance. Kumiko registrierte willkürliche Informationen: den weißen Lammfellbesatz von Sallys Ledermantel, den öligen Regenbogenglanz des Gefieders einer Taube, die vor ihnen davontrippelte, rote Busse wie Riesenspielzeug im Transport
Museum, Sally, die sich die Hände an einem Styroporbecher mit heißem Tee wärmte.
    Kalt, es würde von nun an immer kalt sein. Die eisige Feuchtigkeit in den alten Knochen der Stadt, das kalte Wasser des Sumida in den Lungen ihrer Mutter, der kühle Flug der Neonkraniche.
    Ihre Mutter war zartknochig, und ihr dichtes dunkles Haar war mit goldenen Glanzlichtern gemasert wie ein seltenes tropisches Edelholz. Mutter duftete nach Parfüm und warmer Haut. Mutter erzählte ihr Geschichten von Elfen und Feen und von Kopenhagen, einer fernen Stadt. Wenn Kumiko von den Elfen träumte, glichen diese den Sekretären ihres Vaters: geschmeidig und seriös, mit schwarzen Anzügen und zusammengerollten Schirmen. Die Elfen in den Geschichten ihrer Mutter taten viele merkwürdige Dinge, und die Geschichten waren magisch, weil sie sich während des Erzählens änderten und man nie sicher sein konnte, wie eine Geschichte an einem Abend ausgehen würde. Es kamen auch Prinzessinnen darin vor und Ballerinen, und Kumiko hatte begriffen, dass jede davon in gewissem Sinn ihre Mutter war.
    Die Prinzessinnen-Ballerinen waren wunderschön, aber arm, und sie tanzten aus purer Freude im Herzen der fernen Stadt, wo sie von Künstlern und angehenden Dichtern umworben wurden, die ebenfalls schön und mittellos waren. Um alte Eltern zu unterstützen oder ein Organ für einen kranken Bruder zu kaufen, war eine Prinzessin-Ballerina zuweilen gezwungen, eine sehr, sehr weite Reise anzutreten, vielleicht gar bis nach Tokio, um für Geld zu tanzen. Für Geld zu tanzen, so konnte man den Geschichten entnehmen, war kein Vergnügen.
     
    Sally führte sie in eine Robata-Bar in Earls Court und nötigte sie, ein Glas Sake zu trinken. Eine geräucherte Fuguflosse schwamm in dem heißen Wein und verlieh ihm die Farbe von
Whiskey. Sie aßen Robata vom rauchenden Grill, und Kumiko spürte, wie die Kälte aus ihr wich, nicht aber die Taubheit. Die Ausstattung des Lokals vermittelte ein starkes Gefühl kultureller Konfusion: Sie brachte es fertig, traditionelles japanisches Design zu reflektieren und gleichzeitig auszusehen, als wäre sie von Charles Rennie Mackintosh entworfen.
    Sie war sehr seltsam, diese Sally Shears, seltsamer als das ganze Gaijin-London. Jetzt erzählte sie Kumiko Geschichten, Geschichten über Leute, die in einem Japan lebten, das Kumiko nicht kennengelernt hatte, Geschichten, die erklärten, welche Rolle ihr Vater – der Oyabun , wie Sally ihn nannte – in der Welt spielte. Die Welt in Sallys Geschichten kam Kumiko genauso unwirklich vor wie die Märchenwelt ihrer Mutter, aber sie begann zu verstehen, worauf die Macht ihres Vaters basierte und wie groß sie war. » Kuromaku «, sagte Sally. Das Wort bedeutete »schwarzer Vorhang«. »Kommt vom Kabuki-Theater, meint aber einen Schieber, der mit Gefälligkeiten handelt. Hinter den Kulissen, verstehst du? So was ist dein Vater. Und Swain auch. Aber Swain ist der Kobun deines alten Herrn, wenigstens einer davon. Oyabun-Kobun, Vater-Kind. Daher kriegt Roger einen Teil seines Sprits. Darum bist du jetzt hier, weil Roger dem Oyabun was schuldet. Giri, kapiert?«
    »Er ist ein Mann von Rang.«
    Sally schüttelte den Kopf. »Nein, aber dein alter Herr, Kumi, der ist einer. Wenn er dich außer Landes schaffen musste, um deine Sicherheit zu gewährleisten, dann heißt das, dass sich große Veränderungen anbahnen.«
     
    »Na, einen heben gewesen?«, fragte Petal, als sie hereinkamen. In den

Weitere Kostenlose Bücher