Neuromancer-Trilogie
gelbe Halsbonbons, Plastikinhalatoren, deren japanische Herstellernamen mit dem Messer abgekratzt waren. »Von Afrika«, sagte Slick und wedelte mit dem Beutel.
»Afrika?« Gentry sah den Beutel an, dann Slick und dann wieder den Beutel. »Aus Afrika?«
»Von Kid Afrika. Kennst du nicht. Hat er mir für dich gegeben.«
»Warum?«
»Weil er seine Freunde’ne Weile bei mir unterbringen muss. Ich schulde ihm einen Gefallen, Gentry. Ich hab ihm erklärt, dass du niemand hierhaben willst. Dass es dich stört. Also hat er gesagt«, log Slick, »er lässt dir gern ein bisschen Stoff da, um dich für die Unannehmlichkeiten zu entschädigen.«
Gentry nahm den Beutel, strich mit dem Finger am Verschluss entlang, öffnete ihn. Nahm das Opium raus und gab es Slick zurück. »Brauch ich nicht.« Er nahm eins der blauen Derms heraus, zog die Schutzfolie ab und klebte es sich behutsam auf die Innenseite des rechten Handgelenks. Slick stand da und knetete geistesabwesend das Opium zwischen Daumen und Zeigefinger, so dass das Cellophan raschelte, während Gentry wieder um den langen Tisch herumging und die Satteltasche aufmachte. Er zog ein Paar neue schwarze Lederhandschuhe heraus.
»Ich finde, ich sollte deine Gäste mal … kennenlernen, Slick.« »Hm?« Slick blinzelte verdutzt. »Tja … Aber du musst nicht. Ich meine, wär’s nicht …«
»Nein«, meinte Gentry und klappte den Kragen hoch. »Ich bestehe darauf.«
Auf der Treppe fiel Slick das Opium wieder ein, und er warf es übers Geländer ins Dunkel.
Er hasste Drogen.
»Cherry?« Er kam sich albern vor, als er unter Gentrys Augen an seine eigene Tür klopfte. Keine Antwort. Er machte auf. Gedämpftes Licht. Er sah, dass sie eine seiner Lampen mit einem Kegel aus gelbem Faxpapier abgeschirmt hatte, der mit einem Stück Draht befestigt war. Die anderen beiden Birnen hatte sie rausgeschraubt. Sie war nicht da.
Die Trage war da mitsamt dem Mann, der in den blauen Nylonschlafsack eingemummelt war. Es frisst ihn auf, dachte Slick, als er die Aufbauten mit dem lebenserhaltenden Gerät, den Schläuchen und den mit Flüssigkeit gefüllten Beuteln betrachtete. Nein, sagte er sich, es erhät ihn am Leben, wie im Krankenhaus. Aber der Eindruck blieb bestehen: und wenn es ihn doch aussaugte, leerpumpte? Er musste an Birds Vampirgeschwätz denken.
»Aha«, sagte Gentry und trat an ihm vorbei ans Fußende der Trage. »Du hast aber komische Freunde, Slick Henry.« Er ging um die Trage herum, wobei er vorsichtshalber einen Meter Abstand zu der reglosen Gestalt hielt.
»Willst du nicht vielleicht doch lieber wieder raufgehn, Gentry? Ich meine, das Derm … War vielleicht’ne zu große Dosis.«
»Ach ja?« Gentry legte den Kopf schief. Die Augen funkelten im gelben Licht. Er zwinkerte. »Wie kommst du darauf?«
»Na ja.« Slick zögerte. »Du bist nicht so wie sonst. Ich meine, wie vorher.«
»Du meinst, ich erlebe gerade einen Stimmungsumschwung, Slick?«
»Ja.«
»Ich genieße den Stimmungsumschwung.«
»Ich seh dich aber nicht lächeln«, meinte Cherry von der Tür her.
»Das ist Gentry, Cherry. Factory gehört ihm, sozusagen. Cherry ist aus Cleveland.«
Aber Gentry hielt eine dünne schwarze Taschenlampe in der behandschuhten Hand; er inspizierte das Trodennetz auf der Stirn des Schläfers. Als er sich aufrichtete, fiel der Lichtstrahl auf das Gerät, das weder ein Firmenlogo noch andere besondere Kennzeichen aufwies, zuckte dann wieder nach unten und folgte dem schwarzen Kabel zum Trodennetz.
»Cleveland«, wiederholte Gentry schließlich, als wäre es ein Name, den er in einem Traum gehört hatte. »Interessant.« Er ließ den Lichtstrahl wieder nach oben wandern und reckte den Hals, um die Stelle zu betrachten, wo das Kabel in das Gerät mündete. »Und Cherry – Cherry, wer ist das ?« Das Licht lag schonungslos auf dem abgezehrten, irritierend normalen Gesicht.
»Weiß ich nicht«, sagte Cherry. »Hör auf, ihm in die Augen zu leuchten. Könnte sein REM stören oder so.«
»Und das?« Er beleuchtete den flachen grauen Kasten.
»Ein LF. So hat Kid es genannt. Hat ihn Count genannt und das Ding da sein LF.« Sie schob die Hand in ihre Jacken und kratzte sich.
»Tja.« Gentry wandte sich um und knipste die Lampe aus, und das Licht der Besessenheit hinter seinen Augen loderte gleißend hell, so enorm verstärkt von Kid Afrikas Derm, dass Slick den Eindruck hatte, die Gestat müsse dort sein und durch Gentrys Stirn leuchten, so dass jeder, aber auch
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