Neuromancer-Trilogie
jeder sie sehen konnte, außer Gentry selbst. »Dann wird’s das ja wohl auch sein …«
11
Leere Stunden
Bei der Landung wurde Mona wach. Prior hörte gerade Eddy zu, nickte und ließ hin und wieder sein quadratisches Lächeln aufblitzen. Es war, als wäre der Mund hinter dem Bart beständig zu diesem Lächeln verzerrt. Er hatte sich allerdings umgezogen; also musste er Klamotten an Bord haben. Jetzt trug er einen schlichten grauen Straßenanzug und eine Krawatte mit diagonalen Streifen. Wie die Freier, mit denen Eddy sie in Cleveland verkuppelt hatte, nur dass der Anzug ganz anders saß.
Sie hatte mal gesehen, wie einem Freier ein Anzug angepasst wurde, einem Kerl, der sie in ein Holiday Inn mitgenommen hatte. Der Klamottenshop ging vom Hotelfoyer ab, und da stand er also in Unterwäsche, mit blauem Licht schraffiert, und betrachtete sich auf drei Großbildschirmen. Auf den Bildschirmen waren die blauen Linien nicht zu sehen, weil er auf jedem einen anderen Anzug anhatte. Mona musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen, denn das System war mit einem Kosmetikprogramm ausgestattet, das sein Aussehen auf den Bildschirmen veränderte, das Gesicht eine Idee streckte und das Kinn markanter machte, was er offenbar gar nicht bemerkte. Dann entschied er sich für einen Anzug, zog seinen alten wieder an, und das war’s.
Eddy erklärte Prior gerade irgendwas, etwas Zentrales im Konzept einer seiner Gaunereien. Sie hatte gelernt, nicht auf den Inhalt zu achten, aber seinem Tonfall konnte sie sich nach wie vor nicht entziehen. Es klang, als wüsste er, dass niemand imstande wäre, den Kniff zu verstehen, auf den er so stolz war; deshalb sprach er langsam und mit einfachen Worten, als würde er mit einem kleinen Kind reden, und seine Stimme war leise, damit er nicht ungeduldig wirkte. Prior schien das nichts auszumachen, aber Mona hatte sowieso den Eindruck, dass es Prior ziemlich schnurz war, was Eddy sagte.
Sie gähnte und streckte sich, während der Flieger zweimal auf den Beton der Startbahn aufsetzte und dann aufheulend abbremste. Eddy hatte währenddessen pausenlos weitergeredet.
»Draußen wartet ein Wagen auf uns«, unterbrach ihn Prior.
»Wo geht’s denn hin?«, fragte Mona, ohne sich um Eddys Stirnrunzeln zu kümmern.
Prior zeigte ihr sein Lächeln. »Zu unserem Hotel.« Er löste seinen Gurt. »Da bleiben wir ein paar Tage. Leider wirst du die meisten auf dem Zimmer verbringen müssen.«
»Das ist der Deal«, meinte Eddy, als wäre es seine Idee gewesen, dass sie auf dem Zimmer bleiben sollte.
»Magst du Stims, Mona?«, fragte Prior, immer noch lächelnd.
»Klar«, sagte sie, »wer nicht?«
»Hast du einen Liebling, Mona, einen Lieblingsstar?«
»Angie«, sagte sie leicht irritiert. »Wen sonst?«
Das Lächeln wurde ein bisschen breiter. »Gut. Wir besorgen dir die neuesten Bänder von ihr.«
Monas Universum bestand hauptsächlich aus Dingen und Orten, die sie kannte, aber nie persönlich gesehen oder besucht hatte. Bei den Stims gab es keinen Gestank im Zentrum des nördlichen Sprawl. Das wurde wohl rausgefiltert, so wie Angie auch nie Kopfweh oder Menstruationsbeschwerden hatte. Aber es stank dort. Wie in Cleveland, nur noch schlimmer. Als sie aus dem Flugzeug gestiegen waren, hatte sie gedacht, es würde nur auf dem Flughafen so stinken, aber als sie aus dem Wagen kletterten und ins Hotel gingen, war der üble Geruch sogar noch stärker. Außerdem war es saukalt auf der Straße, und ein schneidender Wind biss ihr in die nackten Knöchel.
Das Hotel war größer als das Holiday Inn, ihrer Ansicht nach aber auch älter. Im Foyer herrschte mehr Betrieb als
in den Stim-Foyers, aber dafür gab es eine Menge blauen Teppich. Prior ließ sie vor einer Reklame für ein orbitales Ferienzentrum warten, während er mit Eddy zu einer langen schwarzen Theke ging und mit einer Frau sprach, die ein Namensschild aus Messing trug. Mona kam sich blöd vor, wie sie dort in dem weißen Plastikregenmantel wartete, in den Prior sie gesteckt hatte, als wäre ihr Outfit in seinen Augen nicht gut genug. Etwa ein Drittel der Menschen im Foyer waren Japaner, Touristen vermutlich. Sie schienen alle irgendein Aufnahmegerät bei sich zu haben – Video, Holo, einige wenige auch Simstim-Geräte am Gürtel -, aber ansonsten sahen sie nicht gerade so aus, als würden sie in Geld schwimmen. Doch dieser Eindruck täuschte bestimmt. Vielleicht sind sie smart und wollen’s nicht zeigen, befand sie.
Sie sah,
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