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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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kniff die Augen zusammen. Eine Art Schaf, aber es war garantiert ein ferngesteuertes Modell, ein Hologramm oder so. Es warf den Kopf herum und begann zu grasen. Mona lachte.

    Sie spürte das Wiz hinten in den Knöcheln und in den Schulterblättern, ein kaltes Kribbeln, und sie hatte den Krankenhausgeschmack tief unten im Hals.
    Sie hatte Angst gehabt, aber die war jetzt weg.
    Prior hatte ein fieses Grinsen, aber er war nur ein Spieler, ein korrupter Schlips. Wenn er Geld hatte, dann das von jemand anderem. Und vor Eddy hatte sie keine Angst mehr; sie hatte eher Angst um ihn, denn sie merkte, wofür andere ihn hielten.
    Na ja, dachte sie, egal; sie züchtete keinen Wels in Cleveland mehr, und keine zehn Pferde würden sie je wieder nach Florida kriegen.
    Sie erinnerte sich an kalte Wintermorgen mit dem Alkoholofen und dem Alten, der da in seinen schweren grauen Mantel gekauert saß. Im Winter hatte er eine zweite Plastikschicht über die Fenster geklebt. Dann hatte man den Raum mit dem Ofen beheizen können, denn die Wände waren mit Spanplatten auf Hartschaum verkleidet. Dort, wo der Hartschaum hervorschaute, konnte man mit dem Finger Löcher bohren; wenn er einen dabei erwischte, brüllte er los. Die Fische in der Kälte warmzuhalten, kostete mehr Arbeit. Man musste Wasser aufs Dach pumpen, wo die Sonnenkollektoren waren, in die durchsichtigen Plastikschläuche. Aber die organischen Stoffe, die sich an den Beckenrändern zersetzten, brachten auch was. Wenn man einen Fisch mit dem Kescher rausholte, dampfte es. Den Fisch tauschte er gegen andere Nahrungsmittel, gegen das, was andere Leute zogen und züchteten, gegen Alkohol für den Ofen und für den Magen, gegen Kaffeebohnen und Abfälle zum Füttern der Fische.
    Er war nicht ihr Vater und hatte ihr das auch oft genug gesagt, wenn er überhaupt mal den Mund aufmachte. Trotzdem fragte sie sich gelegentlich immer noch, ob er es nicht vielleicht doch gewesen war. Als sie ihn zum ersten Mal gefragt
hatte, wie alt sie war, hatte er sechs gesagt, also zählte sie von da ab.
    Sie hörte die Tür hinter sich aufgehen und drehte sich um. Im Rahmen stand Prior mit dem goldenen Schlüsselanhänger aus Plastik in der Hand, und sein Bart stand offen und gab den Blick auf sein Lächeln frei. »Mona«, sagte er und trat ein, »das ist Gerald.« Ein großer Chinese in einem grauen Anzug, graumeliertes Haar. Gerald lächelte freundlich, schob sich hinter Prior ins Zimmer und ging schnurstracks zu dem Ding mit den Schubladen gegenüber dem Fußende des Bettes. Stellte eine schwarze Tasche hin und machte den Schnappverschluss auf.
    »Gerald ist ein Freund. Und Arzt. Soll mal einen Blick auf dich werfen.«
    »Mona«, sagte Gerald und nahm etwas aus der Tasche, »wie alt bist du?«
    »Sie ist sechzehn«, sagte Prior. »Stimmt’s, Mona?«
    »Sechzehn«, wiederholte Gerald. Das Ding in seiner Hand sah aus wie eine dunkle Schutzbrille, eine Sonnenbrille mit Hubbein und Drähten. »Also, das ist ja wohl ein bisschen unglaubwürdig, nicht wahr?« Er sah Prior an.
    Prior lächelte.
    »Damit liegt sie … wie viel drunter? Zehn Jahre?«
    »Nicht ganz«, sagte Prior. »Wir verlangen keine Perfektion.«
    Gerald sah sie an. »Die kriegt ihr auch nicht.« Er zog sich die Brille über die Ohren und drückte irgendwo drauf. Unter dem rechten Glas ging ein Licht an. »Aber es gibt verschiedene Grade der Annäherung.« Das Licht schwang zu ihr herum.
    »Geht hier nur um Kosmetik, Gerald.«
    »Wo ist Eddy?«, fragte Mona, während Gerald näherkam.
    »In der Bar. Soll ich ihn holen?« Prior nahm den Telefonhörer ab, legte jedoch wieder auf, ohne zu wählen.

    »Was ist das?« Sie wich vor Gerald zurück.
    »Eine medizinische Untersuchung«, erklärte Gerald. »Tut nicht weh.« Er hatte sie ans Fenster zurückgedrängt. Die Schulterblätter über dem Handtuch pressten sich gegen kaltes Glas. »Jemand hat einen Job für dich und zahlt sehr, sehr gut; aber er will sicher sein, dass du gesund bist.« Das Licht stach in ihr linkes Auge. »Sie nimmt irgendwelche Aufputschmittel«, sagte er in einem anderen Ton zu Prior.
    »Augen weit auf, Mona.« Das Licht wanderte in ihr rechtes Auge. »Was ist es, Mona? Wie viel hast du genommen?«
    »Wiz.« Sie zuckte vor dem Licht zurück.
    Er packte ihr Kinn mit seiner kühlen Hand und drehte den Kopf wieder gerade. »Wie viel?«
    »Einen Kristall …«
    Das Licht war aus. Sein glattes Gesicht war ganz nahe. Die Brille war mit Linsen, Schlitzen und kleinen Scheiben

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