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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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an und setzte ein mattes Grinsen auf, in dem »Ich kann nichts dafür« stand, dann schaute sie weg.
    Der Lude schnellte wie von der Tarantel gestochen vom Brunnen hoch, aber Mona hatte den Gesichtsausdruck der Blonden richtig interpretiert und sich bereits in Bewegung gesetzt. Er erwischte sie am Arm, aber die Plastiknaht des Regenmantels gab nach, und sie zwängte sich in die Menge zurück. Das Wiz übernahm das Kommando, und als sie wieder zu sich kam, lehnte sie wenigstens einen Block entfernt hustend und hyperventilierend an einem Stahlpfosten.
    Doch nun war die Wirkung des Wiz umgekippt, wie es manchmal passierte, und alles war hässlich. Die Gesichter in der Menge wirkten gehetzt und hungrig, als hätte jedermann einen privaten, dringenden Auftrag zu erledigen, und das Licht aus den Schaufenstern war kalt und scheußlich, und all die Dinge in den Auslagen waren nur da, um ihr klarzumachen, dass sie sie nicht kriegen konnte. Irgendwo war eine Stimme, eine zornige Kinderstimme, die endlose, sinnlose Obszönitäten aneinanderreihte; als sie merkte, wer das war, hörte sie auf damit.

    Ihr linker Arm war kalt. Sie schaute hinunter und sah, dass der Ärmel weg und die Seitennaht bis zur Taille aufgerissen war. Sie zog den Mantel aus und hängte ihn sich wie ein Cape um die Schultern; so fiel es vielleicht weniger auf.
    Sie stemmte sich mit dem Rücken gegen den Pfosten, als sie das Wiz auf einer verspäteten Adrenalinwelle überrollte. Ihre Knie gaben nach, und sie glaubte, in Ohnmacht zu fallen, aber dann zog das Wiz einen seiner Zaubertricks ab, und sie hockte im Schein der untergehenden Sommersonne auf dem unbefestigten Hof des Alten, und in den brüchigen grauen Boden war das Spiel geritzt, das sie gespielt hatte, aber jetzt hockte sie einfach nur da und starrte mit leerem Blick an den massigen Tanks vorbei zu den Glühwürmchen, die in einem Brombeergestrüpp über einem zerbeulten Chassis tanzten. Im Haus hinter ihr brannte Licht, und sie konnte das Maisbrot im Backofen und den Kaffee riechen, den er immer wieder aufkochte, bis der Löffel drin stehenblieb, wie er sagte, und er war jetzt dort drin und las eins seiner Bücher mit den spröden braunen Blättern, die nie ein Eselsohr hatten. Er bekam sie in abgenutzten Plastiktüten, und manchmal zerfielen sie ihm einfach unter den Händen zu Staub, aber wenn er was fand, was er aufbewahren wollte, dann holte er den kleinen Taschenkopierer aus der Schublade, legte die Batterien ein und führte ihn über die Seite. Sie sah gern zu, wie die druckfrischen Kopien herauskamen; sie hatten so einen besonderen Geruch, der bald nachließ, aber er hatte ihr nie erlaubt, das Gerät zu benutzen. Manchmal las er laut vor, mit stockender Stimme, wie jemand, der ein Instrument spielen will, das er lange Zeit nicht mehr zur Hand genommen hat. Was er vorlas, waren keine Geschichten mit einem Schluss oder einer witzigen Pointe. Es waren eher Fenster in etwas sehr Merkwürdiges und Fremdes. Er versuchte nie, irgendetwas davon zu erklären;
wahrscheinlich verstand er es selber nicht. Vielleicht verstand es niemand …
    Dann war mit einem Mal die hell erleuchtete Straße wieder da.
    Sie rieb sich die Augen und hustete.

12
    Hier beginnt Antarktika
    »Ich bin jetzt so weit«, sagte Piper Hill. Sie saß mit geschlossenen Augen in einer dem Lotossitz angenäherten Position auf dem Teppich. »Streich mit deiner linken Hand über die Decke.« Acht dünne Kabel führten von den Buchsen hinter Pipers Ohren zu dem Gerät, das auf ihren sonnengebräunten Schenkeln lag.
    In einen weißen Frotteebademantel gehüllt, saß Angie auf der Bettkante, der blonden Technikerin zugewandt, das schwarze Testgerät wie eine hochgezogene Augenbinde über der Stirn. Sie gehorchte und ließ die Fingerkuppen leicht über die Rohseide und das ungebleichte Leinen der zerknitterten Tagesdecke gleiten.
    »Gut«, sagte Piper, mehr zu sich selbst als zu Angie, und machte sich an der Schalttafel zu schaffen. »Noch mal.« Angie spürte, wie das Gewebe unter ihren Fingerkuppen dicker wurde.
    »Noch mal.« Eine weitere Justierung.
    Jetzt konnte sie die einzelnen Fasern auseinanderhalten, Seide von Leinen unterscheiden …
    »Und noch mal.«
    Ihre Nerven kreischten auf, als ihre hautlosen Fingerkuppen über Stahlwolle und gemahlenes Glas scheuerten …
    »Optimal«, sagte Piper und schlug blaue Augen auf. Sie zog ein kleines Elfenbeinfläschchen aus dem Ärmel ihres Kimonos, nahm den Stöpsel ab und reichte es

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