Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
und betrachtete Michael im grauen Schein, der durch das Oberlicht hereinfiel. Das Reich Gottes. Das Reich Gottes ist nah.
    Sie ging ins Zimmer und zog ihr Kleid an, weil ihr kalt war. Sie setzte sich auf die silberne Couch. Die rote Jalousie färbte das Grau vom Oberlicht pink, während es draußen heller wurde. Sie überlegte, was so eine Wohnung kosten mochte.

    Jetzt, wo sie ihn nicht sehen konnte, fiel es ihr schwer, sich daran zu erinnern, wie er aussah. Wenigstens wird es ihm nicht schwerfallen, sich an mich zu erinnern, dachte sie, aber dieser Gedanke gab ihr das Gefühl, geschlagen, verletzt oder herumgezerrt worden zu sein, und sie wünschte, sie wäre im Hotel geblieben und hätte sich mit einem Stim von Angie begnügt.
    Das pinkgraue Licht erfüllte den Raum, sammelte sich hier und dort, begann an den Rändern zu gerinnen. Irgendwas daran erinnerte sie an Lanette und die Überdosisgeschichten. Manchmal kratzte jemand in einer fremden Wohnung an einer Überdosis ab, und dann war es am einfachsten, den Leichnam aus dem Fenster zu schmeißen, so dass die Bullen nicht feststellen konnten, woher er kam.
    Aber da sie nicht daran denken wollte, ging sie in die Küche und schaute in den Kühlschrank und die Schränke. Im Eisfach lag ein Päckchen Kaffeebohnen, aber von Kaffee kriegte man das große Flattern, wenn man auf Wiz war. Dann stieß sie auf viele kleine Folienpackungen mit japanischen Etiketten: gefriergetrocknete Sachen. Sie fand einen Karton Teebeutel und riss den Verschluss einer der Wasserflaschen im Kühlschrank auf. Sie goss Wasser in einen Topf und hantierte am Herd, bis eine Platte heiß wurde. Die Kochelemente waren weißumrandete Felder auf der schwarzen Arbeitsplatte; man stellte den Topf mitten in den Kreis und tippte dann den roten Punkt daneben an. Als das Wasser heiß war, warf sie einen Teebeutel hinein und nahm den Topf von dem Element.
    Sie beugte sich über den Topf und atmete den nach Kräutern duftenden Dampf ein.
    Wenn Eddy nicht bei ihr war, vergaß sie nie, wie er aussah. Er war vielleicht nichts Besonderes, aber immerhin war er da. Man brauchte ein Gesicht um sich, das sich nicht änderte. Aber jetzt an Eddy zu denken, war vielleicht auch keine so gute Idee. Der Crash stand kurz bevor, und bis dahin musste
sie sich was einfallen lassen, wie sie wieder ins Hotel kam. Doch mit einem Mal war ihr alles zu kompliziert; es gab zu viel zu tun, zu viele Aspekte zu bedenken, und das war der Crash, wenn man anfangen musste, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man den Tag wieder auf die Reihe kriegen sollte.
    Prior würde aber wohl nicht zulassen, dass Eddy sie schlug, denn was immer er von ihr wollte, es hatte etwas mit ihrem Aussehen zu tun. Sie drehte sich um, um sich eine Tasse zu holen.
    Und da war Prior. In einem schwarzen Mantel. Sie hörte, wie ihrer Kehle unwillkürlich ein komischer kleiner Laut entfuhr.
    Sie hatte bei Wiz-Crashs auch früher schon mal Erscheinungen gehabt. Wenn man sie intensiv genug ansah, verschwanden sie. Damit versuchte sie es auch bei Prior, aber es klappte einfach nicht.
    Er stand nur da, mit einer Art Plastikkanone, die er nicht auf sie gerichtet hatte, sondern einfach in der Hand hielt. Er trug die gleichen Handschuhe wie Gerald bei der Untersuchung. Er machte nicht den Eindruck, als ob er sauer wäre, aber diesmal lächelte er auch nicht. Und eine ganze Weile sagte er kein Wort. Mona auch nicht.
    »Wer ist hier?« Wie man auf einer Party fragte.
    »Michael.«
    »Wo?«
    Sie zeigte zur Schlafnische.
    »Hol deine Schuhe.«
    Sie ging an ihm vorbei aus der Küche und bückte sich automatisch, um ihre Unterwäsche vom Teppich aufzuheben. Ihre Schuhe standen neben der Couch.
    Er folgte ihr und schaute ihr zu, wie sie sich die Schuhe anzog. Die Kanone hatte er noch immer in der Hand. Mit der anderen Hand schnappte er sich Michaels Lederjacke von
der Couchlehne und warf sie ihr zu. »Zieh das an«, sagte er. Sie gehorchte und stopfte ihre Unterwäsche in eine der Taschen.
    Er hob den zerrissenen weißen Regenmantel auf, knüllte ihn zusammen und steckte ihn in die Manteltasche.
    Michael schnarchte. Vielleicht würde er bald wach werden und alles wieder abspielen. Bei den Geräten, die er hatte, brauchte er eigentlich keine Menschen mehr.
    Im Korridor beobachtete sie, wie Prior das Schloss mit einem grauen Kasten verriegelte. Die Kanone war weg, aber sie hatte nicht gesehen, wie er sie eingesteckt hatte. Aus der Box ragte ein rotes Stück Kabel mit einem ganz

Weitere Kostenlose Bücher