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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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verkleidete Angie in den Loser mitgenommen, damit sie ihnen zuhörte – mit nervösen Security-Leuten von Sense/Net auf den Hacken, die nicht reingelassen wurden. Die Aussperrung der Sicherheitstypen hatte sie damals mehr beeindruckt als das Gerede dort. Das Gentlemen Loser war seit dem Krieg eine Cowboy-Bar und hatte die Entstehung der neuen Technologie miterlebt, und es gab im ganzen Sprawl keinen exklusiveren Kriminellentreff – obwohl diese Exklusivität zu Zeiten von Angies Besuch längst beinhaltete, dass die Stammgäste gewissermaßen die Attitüde von Ruheständlern pflegten. Die heißen jungen Typen machten ihre Deals nicht mehr im Loser, aber ein paar kamen noch, um den alten Cowboys zuzuhören.

    Im Schlafzimmer des Hauses in Malibu dachte Angie nun an deren Worte, an deren Erzählungen von der Wende und merkte, dass ein Teil von ihr versuchte, diese Erinnerungen, diese Erzählungen mit ihrer eigenen Geschichte und der von Tessier-Ashpool abzugleichen.
     
    3Jane war die Faser, Tessier-Ashpool das Gewebe. Ihr offizielles Geburtsdatum war das gleiche wie das ihrer neunzehn Klon-Geschwister. Beckers »Beweisaufnahme« wurde noch leidenschaftlicher, als 3Jane in einem weiteren Ersatzbauch ausgetragen und durch Kaiserschnitt im OP von Straylight entbunden wurde. Die Kritiker waren sich einig: 3Jane war Beckers Aufhänger. Mit der Geburt von 3Jane wandelte sich die Perspektive der Dokumentation unmerklich und offenbarte eine neue Intensität, eine noch größere Besessenheit – ein Gefühl der Sündhaftigkeit, wie mehr als ein Kritiker anmerkte.
    3Jane wurde zum Brennpunkt, zur widernatürlichen Goldader im Granit der Familie. Nein, dachte Angie, zur Silberader, fahl und mondsüchtig. Bei der Erkundung des Fotos eines chinesischen Touristen von 3Jane und zwei Schwestern am Pool eines Freeside-Hotels kehrt Becker immer wieder zu 3Janes Augen, der Schlüsselbeinmulde, den zierlich-zerbrechlichen Handgelenken zurück. Körperlich sind die Schwestern identisch, dennoch ist 3Jane von einem besonderen Geist erfüllt, und Beckers Suche nach diesem Geist ist das zentrale Anliegen seiner Arbeit.
    Freeside blüht und gedeiht, während das Archipel wächst. Als Bankennexus, Bordell, Datenhafen und neutrales Territorium für konkurrierende Großunternehmen fällt der Spindel eine zunehmend komplexere Rolle in der Geschichte des Hochorbits zu, während sich die Tessier-Ashpool SA hinter einer weiteren Mauer verkriecht, die nun aus Tochtergesellschaften gefügt ist. Der Name von Marie-France taucht noch
einmal kurz in Zusammenhang mit einem Genfer Patentverfahren um gewisse Entwicklungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz auf, und es wird zum ersten Mal aufgedeckt, welche enormen Geldmittel Tessier-Ashpool in solche Forschungsprojekte investiert. Wieder einmal stellt die Familie ihr besonderes Geschick unter Beweis, von der Bildfläche zu verschwinden, und tritt in eine neue Phase des Rückzugs aus dem öffentlichen Leben ein, die mit dem Tod von Marie-France endet.
    Die Gerüchte, dass es sich dabei um Mord gehandelt habe, halten sich hartnäckig, aber jeder Versuch einer Aufklärung scheitert am Reichtum und an der Isolation der Familie, an dem besonderen Umfang und der Komplexität ihrer politischen und finanziellen Beziehungen.
    Angie, die sich den Becker-Film gerade ein zweites Mal ansah, kannte die Identität des Mörders von Marie-France Tessier.
     
    Bei Morgengrauen machte sie sich in der dunklen Küche Kaffee, setzte sich hin und betrachtete die helle Linie der Brandung.
    »Continuity.«
    »Hallo, Angie.«
    »Weißt du, wie man Hans Becker erreichen kann?«
    »Ich habe die Nummer seines Agenten in Paris.«
    »Hat er nach Antarktika noch was gemacht?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Und wie lang ist das her?«
    »Fünf Jahre.«
    »Danke.«
    »Gern geschehen, Angie.«
    »Bye.«
    »Bye, Angie.«

    Hatte Becker vermutet, dass 3Jane am späteren Tod Ashpools schuld war? Indirekt schien er das anzudeuten.
    »Continuity.«
    »Hallo, Angie.«
    »Die Folklore der Konsolenjockeys, Continuity. Was weißt du darüber?« Und was wird Swift von all dem halten?, fragte sie sich.
    »Was möchtest du wissen, Angie?«
    »Die Wende …«
    »Diesem Mythos begegnet man für gewöhnlich in zweierlei Gestalt. Zum einen wird behauptet, die Cyberspace-Matrix sei von Wesen bevölkert oder werde vielleicht von ihnen besucht, deren Charakteristika mit dem alten Mythos vom ›unsichtbaren Volk‹ übereinstimmen. Zum anderen ist

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