Neuromancer-Trilogie
gekuschelt, von der sanften Vibration des Überschallflugs. Sie erinnerte sich an den großen, flachen Wagen, der in der bogenförmigen Straße gewartet hatte; das plötzliche, gleitende Scheinwerferlicht von den Fassaden von Swains Häusern, als sie mit Sally auf den Bürgersteig hinaustrat; Ticks verschmitztes Gesicht hinter einem der Fenster des Wagens; Sally, die eine Tür aufriss und sie hineinschob; Ticks leises Fluchen, während der Wagen beschleunigte; das protestierende Quietschen der Reifen, als er zu scharf in die Kensington Park Road einbog; Sallys Befehl, den Fuß vom Gas zu nehmen und den Wagen fahren zu lassen.
Und dort im Auto war ihr eingefallen, dass sie das Maas-Neotek-Gerät an sein Versteck hinter der Marmorbüste zurückgelegt hatte. Colin mit seinem selbstsicheren Gehabe wie aus einem alten Fuchsjagd-Druck und den Ellbogen seiner Jacke, die so abgenutzt waren wie Petals Pantoffeln, blieb zurück als das, was er war: ein Gespenst.
»Vierzig Minuten«, sagte Sally jetzt, die auf dem Platz neben ihr saß. »Gut, dass du’n bisschen geschlafen hast. Gleich gibt’s
Frühstück. Hast du dir den Namen auf deinem Pass gemerkt? Prima. Und stell mir jetzt keine Fragen, ehe ich nicht’nen Kaffee gekriegt habe, okay?«
Kumiko kannte das Sprawl aus tausend Stims; Japans populäre Kultur war fasziniert von dem riesigen Ballungsgebiet aus zusammengewachsenen Städten.
Sie hatte nur sehr ungenaue Vorstellungen von England gehabt, als sie dort ankam; vage Bilder von mehreren berühmten Bauwerken, verschwommene Eindrücke von einer Gesellschaft, die man in Japan wohl für schrullig und rückständig hielt. (In den Geschichten ihrer Mutter stellte die Prinzessin-Ballerina fest, dass die Engländer sie zwar bewunderten, es sich aber nicht leisten konnten, sie fürs Tanzen zu bezahlen.) Bisher hatte London mit seiner Energie, seinem offenkundigen Wohlstand, dem Ginza-Getümmel in seinen großen Einkaufsstraßen ihren Erwartungen nicht entsprochen.
Vom Sprawl hatte sie sehr genaue Vorstellungen, doch die waren nach wenigen Stunden Aufenthalt bereits weitgehend erschüttert.
Während sie aber noch neben Sally in der Schlange der Mitreisenden in einer großen, leeren Zollabfertigungshalle wartete, deren Deckenpfeiler sich in der Dunkelheit verloren – einer Dunkelheit, die in regelmäßigen Abständen von fahlen, kugelförmigen Lampen unterbrochen wurde, um die trotz des Winters Wolken von Insekten schwirrten, als hätte das Gebäude ein eigenes, spezifisches Mikroklima -, war es das Sprawl aus dem Stim, das sie sich ausmalte, die sinnlich-elektronische Kulisse für das Schnellvorlaufleben von Angela Mitchell und Robin Lanier.
Es ging durch die Zollkontrolle, die trotz des endlosen Schlangestehens nur daraus bestand, den Pass durch einen schmuddeligen Metallschlitz zu führen, und hinaus in eine
stark frequentierte Betonhalle, in der fahrerlose Gepäckwagen träge durch eine Menschenmenge pflügten, in der sich jeder nach vorn durchdrängelte und unter Einsatz seiner Ellbogen einen fahrbaren Untersatz zu ergattern versuchte.
Jemand nahm ihren Koffer. Langte hinunter und nahm ihn ihr mit einer solchen Lässigkeit und Selbstverständlichkeit ab, dass es den Anschein hatte, als walte er nur seines Amtes, als habe er eine entsprechende Funktion und verrichte eine ihm übertragene Aufgabe wie die junge Dame, die einem in Tokioter Kaufhäusern mit einer Verbeugung an der Tür begrüßte. Und Sally gab ihm einen Tritt. Gab ihm einen Tritt in die Kniekehle, wirbelte geschmeidig herum wie die Thai-Boxerinnen in Swains Billardzimmer und griff sich den Koffer, bevor der Hinterkopf mit einem hörbaren Knacken auf dem fleckigen Betonboden aufschlug.
Dann zerrte Sally sie weiter, die Menge hatte sich bereits über der reglos daliegenden Gestalt geschlossen, und der jähe, beiläufige Ausbruch von Gewalt hätte ein Traum sein können, nur dass Sally zum ersten Mal seit dem Abflug aus London lächelte.
Kumiko, die mittlerweile jegliche Orientierung verloren hatte, sah zu, wie Sally die verfügbaren Fahrzeuge musterte, rasch einen uniformierten Dispatcher bestach und drei andere potenzielle Fahrgäste einschüchterte, und ließ sich in ein narbiges, wuchtiges Hovercraft mit gelbschwarzen Querstreifen schubsen. Die Fahrgastkabine war kahl und sah äußerst ungemütlich aus. Der Fahrer, falls es einen solchen gab, saß unsichtbar vor einer bekritzelten Panzerplastikwand. Wo die Wand aufs Dach traf, lugte das Objektiv
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