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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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von einer angeblichen Allwissenheit, Allmacht und Unbegreiflichkeit der Matrix selbst die Rede.«
    »Die Matrix ist Gott?«
    »Gewissermaßen, obwohl es im Hinblick auf den Mythos exakter wäre zu sagen, die Matrix hat einen Gott, da die Allwissenheit und Allmacht dieses Wesens angeblich auf die Matrix beschränkt sind.«
    »Wenn ihm Grenzen gesetzt sind, ist es nicht allmächtig.«
    »Genau. Es fällt auf, dass der Mythos dem Wesen keine Unsterblichkeit zuschreibt, was bei Glaubenssystemen, die ein höchstes Wesen postulieren, normalerweise der Fall wäre – zumindest in deiner speziellen Kultur. Der Cyberspace existiert, insofern man von existieren sprechen kann, dank menschlichen Zutuns.«
    »Wie du auch.«
    »Ja.«
    Sie schlenderte ins Wohnzimmer, wo die Louis-XVI-Sessel im grauen Licht wie Skelette aussahen. Die geschnitzten Beine waren wie vergoldete Knochen.

    »Wenn es so ein Wesen gäbe«, sagte sie, »dann wärst du ein Teil davon, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Würdest du das wissen?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Weißt du’s?«
    »Nein.«
    »Schließt du die Möglichkeit aus?«
    »Nein.«
    »Kommt dir dieses Gespräch merkwürdig vor, Continuity?« Ihre Wangen waren tränennass, obwohl sie nicht bemerkt hatte, dass sie zu weinen begonnen hatte.
    »Nein.«
    »Wie passen die Geschichten von den« – sie zögerte, hätte beinahe Loa gesagt – »von den Dingen in der Matrix zu dieser Theorie eines höheren Wesens?«
    »Gar nicht. Beides sind Varianten der ›Wende‹. Beides sehr junge Ideen.«
    »Wie jung?«
    »Etwa fünfzehn Jahre alt.«

17
    Absprung
    Sie wachte auf und spürte Sallys kühle Hand auf ihrem Mund. Die andere Hand bedeutete ihr, keinen Laut von sich zu geben.
    Die in die goldgefleckten Spiegelscheiben eingelassenen Lämpchen brannten. Einer ihrer Koffer stand offen auf dem riesigen Bett, daneben lag ein ordentlicher kleiner Kleiderstapel.
    Sally tippte sich mit dem Zeigefinger auf den geschlossenen Mund und zeigte dann auf den Koffer und die Kleidung.

    Kumiko glitt unter der Steppdecke hervor und schlüpfte in ein Sweatshirt; es war kalt. Sie sah Sally erneut an und überlegte, ob sie etwas sagen sollte; was immer das hier auch zu bedeuten haben mochte, ein Wort von ihr, und Petal würde anrücken. Sally war genauso angezogen wie beim letzten Mal, Lammfelljacke und unterm Kinn verknoteter Schal mit Schottenmuster. Sie wiederholte die Geste: packen.
    Kumiko zog sich rasch an und legte die Sachen dann in den Koffer. Sally ging unruhig und lautlos im Zimmer umher, öffnete Schubladen und machte sie wieder zu. Sie fand Kumikos Pass, eine schwarze Plastikkarte mit einer ausgeprägten goldenen Chrysantheme, und hängte sie Kumiko an der schwarzen Nylonkordel um den Hals. Sie verschwand in dem vertäfelten Kämmerchen und kam mit dem Wildledertäschchen zurück, in dem Kumikos Waschzeug war.
    Als Kumiko den Koffer zumachte, läutete das Messing-und-Elfenbein-Telefon.
    Sally beachtete es nicht, hob den Koffer vom Bett, öffnete die Tür, nahm Kumiko bei der Hand und zerrte sie in den dunklen Flur hinaus. Sie ließ ihre Hand los und schloss die Tür hinter ihnen, so dass das Telefon kaum noch zu hören war und sie in pechschwarzer Dunkelheit standen. Kumiko ließ sich in den Lift führen, den sie an seinem Geruch nach Öl und Möbelpolitur sowie am Klappern der Gittertür erkannte.
    Dann fuhren sie hinunter.
    Petal erwartete sie im strahlend weißen Foyer, in einen riesigen, abgetragenen Flanellbademantel gehüllt. Er hatte seine altersschwachen Pantoffeln an; die Beine unter dem Bademantelsaum waren ganz weiß. Er hatte eine Waffe in der Hand, ein kompaktes, dickes, mattschwarzes Ding. »Verflucht nochmal«, sagte er, als er sie sah, »was soll das bedeuten?«
    »Sie kommt mit mir«, sagte Sally.
    »Völlig ausgeschlossen«, erwiderte Petal langsam.

    »Kumi«, sagte Sally, legte ihr die Hand auf den Rücken und schob sie aus dem Lift, »draußen wartet ein Wagen.«
    »Das kannst du doch nicht machen«, sagte Petal, aber Kumiko spürte seine Verwirrung, seine Unsicherheit.
    »Na, dann erschieß mich doch, Petal.«
    Petal senkte die Kanone. »Swain wird mich erschießen, verdammt, wenn ich euch gehen lasse.«
    »Der würde in der gleichen Zwickmühle stecken, wenn er hier wäre, stimmt’s?«
    »Bitte«, sagte Petal, »tu das nicht.«
    »Ihr passiert schon nichts, keine Bange. Mach die Tür auf.«
    »Sally«, sagte Kumiko. »Wohin fahren wir?«
    »Ins Sprawl.«
     
    Und erwachte, in Sallys Lammfelljacke

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